Ein Beitrag zum Thema Nutzen der quantitativen Risikoanalyse von Prof. Dr. Werner Gleißner, Vorstand Future Value Group AG, Honorarprofessor für BWL, TU Dresden
1. Risikogerechte Bewertung von strategischen Handlungsoptionen
Die Auswahl strategischer Handlungsoptionen sollte auf einem Bewertungskalkül basieren, das ein Abwägen erwarteter Erträge und Risiken gewährleistet. Bei einer nicht sicher vorhersehbaren Zukunft ist grundsätzlich die mit einer Entscheidung verbundene Änderung der bestehenden Chancen und Gefahren (Risiken) zu betrachten. Es ist der (oft ignorierte) Kerngedanke einer wertorientierten Unternehmensführung, dass der Unternehmenswert als Kennzahl das Ertrag-Risiko-Profil ausdrückt.
Dabei sind im Rahmen einer fundierten Entscheidungsvorbereitung Risiko, Wert, Rating und deren Wechselwirkungen zu betrachten. Grundlagen einer Entscheidungsvorlage bei Vorstand und Geschäftsführer müssen eine nachvollziehbare Strategie mit einer daraus ebenso nachvollziehbar abgeleiteten operativen Planung sowie Transparenz über die zugrunde liegenden Annahmen sein. Da die Zukunft nicht sicher vorhergesehen werden kann, ist es erforderlich, Chancen und Gefahren (Risiken), die Planabweichungen auslösen können, anzugeben und zu quantifizieren. Die Beurteilung der Planung hat aus der Perspektive der Gläubiger (Ratingprognose) und der Eigentümer (modellbasiert berechneter Unternehmenswert) zu erfolgen. Ratingprognosen für ein Plan- und Stressszenario sind der wesentliche Krisenfrühwarnindikator (vgl. nachfolgende Abbildungen) und helfen, eine potenzielle Bestandsgefährdung des Unternehmens (z. B. durch die Verletzung von Covenants oder Refinanzierungsrisiken bei der Rückzahlung einer Anleihe) rechtzeitig einzuschätzen. Dies fordert z.B. § 91 Abs. 2 AktG.
Das Abwägen erwarteter Erträge und der mit ihnen verbundenen Risiken kann erfolgen durch die Berechnung des (vom Börsenkurs zu unterscheidenden) fundamentalen Unternehmenswerts (Discounted Cashflow) oder anderer wertorientierter Performancemaße. Entgegen der bisherigen Praxis in vielen Unternehmen ist dabei sicherzustellen, dass der den Unternehmenswert oder Economic Value Added beeinflussende „Werttreiber Kapitalkosten“, also die risikogerechten Mindestanforderungen an die Renditeerwartung, tatsächlich vom „Ertragsrisiko“ (Unsicherheit der Gewinne oder Cashflows) abhängt. Aus historischen Aktienkursschwankungen (via Beta-Faktor) kann man – wie empirische Studien zeigen – nicht auf die entscheidungs- und bewertungsrelevanten zukünftigen Risiken schließen – die Anwendung des CAPM im Kontext wertorientierter Steuerungssysteme ist der möglicherweise schwer-wiegendste methodisch-betriebswirtschaftliche Fehler in den heute implementierten Steuerungssystemen, weil eben nicht die Erkenntnisse einer systematischen Risikoanalyse, sondern lediglich historische Kapitalmarktdaten im Entscheidungskalkül berücksichtigt werden.
Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidungen der Unternehmensführung die zukünftig zu erwartenden Erträge und den aggregierten Umfang der Risiken unter Umständen sogar sehr wesentlich beeinflussen. Entscheidungen können damit wesentliche Auswirkungen auf den Unternehmenswert haben, der als Performancemaß die Ertrags- und Risikowirkungen erfasst. Für eine fundierte Beurteilung von Maßnahmen (einschließlich der Risikobewältigungsmaßnahmen selbst) ist es bei der Vorbereitung der Entscheidung nötig zu untersuchen, welche Änderungen sich bei den Risiken ergeben (Update der Risikoidentifikation und der quantitativen Beschreibung bestehender Risiken).
Entscheidungsrelevant ist im Allgemeinen der aggregierte Gesamtrisikoumfang (ausgedrückt durch den Eigenkapitalbedarf/Value at Risk), dessen Berechnung eine stochastische Simulation (Monte-Carlo-Simulation) erfordert. Und die eigentliche Vorbereitung der Entscheidung benötigt Informationen über die Veränderung des aggregierten Gesamtrisikoumfangs, über die Auswirkung auf das Rating in der Zukunft (Krisenwarnindikator) sowie eine risikogerechte Bewertung, das heißt, ein Abwägen erwarteter Erträge und Risiken.
Zu beachten ist schließlich, dass Veränderungen des Risikoumfangs auch zu Veränderungen des (zukünftigen) Ratings (Insolvenzwahrscheinlichkeit) führen und auch das Rating einen „Werttreiber“ darstellt. Die Insolvenzwahrscheinlichkeit wirkt nämlich wie eine „negative Wachstumsrate“ der Erträge und beeinflusst in erheblichem Umfang den Wert des Unternehmens. Noch immer wird bei Unternehmensbewertung und wertorientierter Steuerung fälschlicherweise ignoriert, dass Unternehmen nicht „ewig“ existieren.
Will man also nun eine unternehmerische Strategie oder Maßnahme beurteilen, muss man die Wirkung auf (1) den erwarteten Gewinn und auf (2) das Risiko und damit die Kapitalkosten k ermitteln, um zu prüfen, ob der Wert als Erfolgsmaßstab (Performancemaß) steigt (vgl. Abbildung 2). Ergänzend sollte die Wirkung auf das Rating beachtet werden. Die Insolvenzwahrscheinlichkeit p wirkt in der Fortführungsphase wie eine „negative Wachstumsrate“, das heißt, sie ist als Zuschlag auf den Kapitalkostensatz zu berücksichtigen (ist aber kein Teil der Kapitalkosten, sondern erfasst – wie auch die übliche Wachstumsrate – die zeitliche Veränderung des Erwartungswerts).
Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, wie – ausgehend von den Resultaten einer quantitativen Risikoanalyse und einer simulationsbasierten Risikoaggregation (Monte-Carlo-Simulation) – Handlungsoptionen, Projekte, Maßnahmenbündel oder Ideen zu ergänzenden Risikobewältigungsmaßnahmen fundiert quantitativ bewertet werden können.
2. Risikoaggregation, Ertragsrisiko und Unternehmenswert als Performancemaß
Sollen subjektive Entscheidungswerte als „Performancemaße“ der Entscheidungsvorbereitung konsistent zu Unternehmensplanung und Risikoanalyse abgeleitet werden, muss man sich auf „simulationsbasierte“ Verfahren für die Ableitung des bewertungsrelevanten Risikomaßes stützen. Man nutzt also die Risikoaggregation mittels Monte-Carlo-Simulation, um zum Beispiel die Standardabweichung des Cashflows als Risikomaß abzuleiten.
Unternehmenswerte als Erfolgsmaßstäbe kann man außer über einen risikoadjustierten Diskontierungszinssatz auch durch Risikoabschläge vom Erwartungswert der Erträge oder Cash-flows berechnen. Mit einem von der Risikomenge der Erträge, Cashflows oder Flow-to-Equity (beispielsweise der Standardabweichung σ Ertrag) abhängigen Risikoabschlag werden sogenannte Sicherheitsäquivalente berechnet.
Man benötigt für die Wertberechnung nur eine Annahme bezüglich der Alternativinvestments und eine Prämisse: Zwei Zahlungen zum gleichen Zeitpunkt haben den gleichen Wert, wenn sie in Erwartungswert (Ertrag e ) und gewähltem Risikomaß (R ist hier σ Ertrag) übereinstimmen. Der Risikoabschlag ist abhängig vom aggregierten Risikoumfang des Bewertungsobjekts (R), beziehungsweise exakter dem Anteil der Risiken, den der Unternehmenseigentümer unter Berücksichtigung seiner Diversifikationsmöglichkeiten (d) trägt, und dem Marktpreis des Risikos (λ).
Sicherheitsäquivalente sind mit dem risikolosen Zinssatz (Basiszinssatz rf) zu diskontieren. Damit existieren also zwei Wege zur Berechnung des Werts W:
Um den Marktpreis des Risikos (λ) zu bestimmen, muss man die Alternativinvestments kennen. In diesem Beitrag werden in Anlehnung an das CAPM ein breiter Marktindex (Proxi für das Marktportfolio mit unsicherer Rendite (rm)) und eine näherungsweise risikolose Anlage mit der Rendite als am Markt verfügbare Alternativinvestments angenommen („marktorientierter Ansatz“). Bei Verwendung der Standardabweichung als Risikomaß entspricht der „Marktpreis des Risikos“ nun gerade dem bekannten Sharpe Ratio im CAPM, also der Marktrisikoprämie bezogen auf die Standardabweichung der Rendite des Marktindex.
Mit dem auch von Chancen und Gefahren (Risiken) abhängigen Erwartungswert des Gewinns und der Standardabweichung als Risikomaß σ Ertrag ergibt sich nun durch das Auflösen von Gleichung (1) folgende Formel für den Kapitalkostensatz:
Die Kapitalkosten zeigen die risikogerechte Anforderung an eine Rendite (und im Weiteren wird vereinfachend von zeitunabhängigen Kapitalkosten ausgegangen). Er ist bestimmt durch den Variationskoeffizienten (V) der Erträge, also dem Verhältnis der Standardabweichung zum Mittelwert des Ertrags.
3. Fazit und Implikationen des Risikomanagements
Sichergestellt werden muss, dass das Risikomanagement sich nicht nur mit den bestehenden Risiken beschäftigt, sondern insbesondere auch mit Handlungsoptionen sowie geplanten Projekten und Maßnahmen. Es ist auch wenig hilfreich erst nach einer Entscheidung festzustellen, welche Implikationen diese für das Unternehmen – speziell für Risiken und Rating – nun gehabt hat. Bereits vor einer Entscheidung für eine solche Handlungsoption (wie Investition) ist aufzuzeigen, wie sich durch diese der aggregierte Gesamtrisikoumfang eines Unternehmens verändern und welche Implikationen diese Veränderungen für den Grad der Bestandsbedrohung eines Unternehmens haben würde, ausgedrückt durch eine Ratingprognose. Eine risiko- und wertorientierte Unternehmensführung erfordert ein Abwägen erwarteter Erträge und Risiken bei der Vorbereitung von Entscheidungen. Der Risikoumfang kann im Kapitalkostensatz ausgedrückt werden, der dann vom Ertragsrisiko – nicht von Aktienrendite-Schwankungen (Beta) – abhängt.