Teil 2 des Interviews mit Frank Romeike, Risikomanagementexperte und Geschäftsführer von RiskNET
Die Welt des Risikomanagements ist im Wandel und damit sind neue Wege und Methoden im Umgang mit den Chancen und Risiken unserer Zeit gefragt. Soweit die Theorie. In der Praxis sieht das allerdings in vielen Fällen anders aus. Das heißt: Unternehmen setzen noch zu wenig auf fundierte Risikomanagementmethoden. Wir sprachen mit Frank Romeike, Gründer des Kompetenzportals RiskNET, unter anderem über seine Methodensicht und die Erfolgsfaktoren eines modernen Risikomanagementsystems – auch mit Blick auf die Digitalisierung.
Redaktion 3GRC: Welche Rolle nimmt aus Ihrer Sicht die methodische Kompetenz im Zuge der Digitalisierung von Unternehmen mit künstlicher Intelligenz, Vernetzung und Analyse ein?
Frank Romeike: Zum einen geht es aus meiner Sicht vor allem darum, dass auch Risikomanager entsprechende Methoden in ihrer Werkzeugkiste haben und auch anwenden können, um potenzielle Szenarien in der Folge der Digitalisierung beispielsweise für das eigene Geschäftsmodell sowie die strategischen Risiken zu analysieren. Es wird leider immer wieder vergessen, dass die primären „Wertvernichter“ und Ursachen für Unternehmensschieflagen und Pleiten bei den strategischen Risiken zu finden sind. Doch die werden in der Praxis zu häufig ausgeblendet.
Zum anderen sollten Risikomanager sich mit Methoden aus der Welt der Datenanalyse beschäftigen. Risikomanager müssen zukünftig wissen, welche Methoden es im Bereich der Zeitreihenanalyse und Datenanalyse gibt. Sie sollten sich mit Predictive Analytics und Prescriptive Analytics sowie mit Simulationsmethoden, neuronalen Netzwerken und Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen oder zumindest ein offenes Ohr für diese Themen haben.
Für Unternehmen, die heute noch Risiken rein qualitativ (niedrig, mittel, hoch) bewerten, ist dies allerdings noch ein weiter Weg. Vor wenigen Wochen hat mir ein Vorstand hierzu treffend gesagt: Ein KI-System, das die weltbesten Go-Spieler besiegt, kann auch Risikomanagement besser als ein hochdekorierter Risikomanager. Erst vor wenigen Jahren hatte ein Team des Google-Forschungslabors „DeepMind“ den amtierenden Europameister Fan Hui mit 5 zu 0 Spielen vernichtend geschlagen. Das aus Ostasien stammende Strategiespiel Go zeichnet sich durch einfache Regeln aus, aus denen eine schier unvorstellbare Komplexität resultiert. Die Zahl möglicher Partien auf dem 19 mal 19 Felder großen Brett lässt sich auf 10 hoch 171 abschätzen – was die Anzahl der Atome im Universum übertrifft.
Redaktion 3GRC: Haben Sie ein kurzes Praxisbeispiel für unsere Leser?
Frank Romeike: Das Datenanalysesystem Aladdin des Finanzdienstleisters Blackrock liefert ein funktionierendes Praxisbeispiel für ein hoch entwickeltes Risikomanagement-System. Hinter dem 1001-Nacht-Namen verbirgt sich hocheffiziente Technologie und fundierte Methodik. Alladin besteht aus vielen Tausenden von Rechnern verteilt auf diverse Rechenzentren, die pro Woche mehrere Hundert Millionen Kalkulationen durchführen. Das Risikomanagement-System analysiert neben globalen Wirtschaftsdaten, Börsenkursen und diversen makro- und mikroökonomischen Daten auch geopolitische Risiken, Naturkatastrophen, Kälte- und Dürreperioden und viele weitere Stressszenarien und auch schwer quantifizierbare Szenarien. Blackrock wird im Wesentlichen über ein Dashboard gesteuert und kontrolliert, das so simpel wie das eines Autos ist. Und das ist aus meiner Sicht nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Aladdin und ähnliche Systeme in der Zukunft können. Und der Erfolg des Unternehmens basiert auf einer schlichten Formel: Blackrock intensivierte seinen Fokus im Bereich des Risikomanagements und investierte in Technologie und Methodik. Und heute analysiert und überwacht Alladin 18 Billionen US-Dollar an Assets.
Redaktion 3GRC: Nun sind Methoden das eine, der Mensch dahinter das andere. Sprich: Um methodisch richtig zu arbeiten braucht es einerseits die richtige Methodenwahl und andererseits den richtigen Gebrauch der ausgewählten Methode. Das ist nicht zwingend trivial. Oder?
Frank Romeike: Wir hatten zu dieser Fragestellung vor einigen Jahren gemeinsam mit der Technischen Universität Hamburg eine Studie durchgeführt. Im Kern haben wir uns mit der Frage des Einsatzes von Simulationsmethoden in der Praxis beschäftigt. Das Ergebnis war eindeutig: Positive Erfahrungen sind ein klarer Treiber für den Einsatz einer Methode. Liegt einmal eine positive Erfahrung mit dem Einsatz eines Instruments vor, wird es zukünftig tendenziell häufiger eingesetzt.
Ein weiteres Ergebnis war, dass Simulationen der Ruf vorauseilt, dass sie zu komplex seien. Dies wird auch als die größte Hürde beim Einsatz von Simulationsmodellen und quantitativen Methoden wahrgenommen.
Neben den Power-Usern gibt es dann auf der anderen Seite die „Ablehner“, die lieber weiterhin „Voodoo-Methoden“ präferieren oder sich rein auf ihre Intuition verlassen. Der Grund: Man hat in der Regel eher wenig Erfahrung mit Simulationen und setzt daher häufiger bekannte und vermeintlich einfachere Methoden ein. Die damit fehlenden “persönlichen Erfolgserlebnisse beim Einsatz von Simulationen” können als Grund für den (weiteren) Nichteinsatz gesehen werden.
Also kurzum: Erfahrungswissen ist für den Methodeneinsatz entscheidend. Oder man kann es auf die Formel bringen: Übung macht den Meister!
Redaktion 3GRC: Apropos Methodenkompetenz. Welche Rolle kommt Ihrer Ansicht nach der Aus- und Weiterbildung in diesem Bereich zu? Gibt es fundierte Lehrveranstaltungen, die sich auch mit neuen Methoden im Risikomanagement intensiv beschäftigen und nicht nur allgemeines Standardwissen transportieren?
Frank Romeike: Hier hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Viele Universitäten und Hochschulen bieten in der Zwischenzeit Lehrveranstaltungen zum Thema an. Die Qualität ist allerdings recht heterogen – teilweise wird hier mehr „Voodoo“ als Methodenkompetenz gelehrt.
Gemeinsam mit der Technischen Hochschule Deggendorf hat RiskNET in Kooperation mit dem TÜV Süd vor einigen Jahren sogar ein exekutives Masterstudium zum Thema Risiko- und Compliancemanagement entwickelt und umgesetzt. Die Zahl der Studierenden zeigt uns jedes Semester die Nachfrage nach entsprechenden Qualifikationen. Nach zwei Vorlesungssemester und einem dritten Semester für die Masterarbeit erwirbt man neben vielen Methodenkenntnissen den Abschluss „Master of Arts (M.A.)“.
Redaktion 3GRC: Abschließend noch der Blick nach vorne: Wenn Sie als Risikomanagementexperte in die nahe Zukunft blicken. Welche Methodenkompetenzen würden Sie sich von Unternehmen und ihren Risikomanagern stärker wünschen, um das Thema Chancen- und Risikomanagement besser im Gesamtkontext des Unternehmens als Führungsaufgabe zu positionieren?
Frank Romeike: Zum einen ist es wichtig, dass wir eine „rückspiegelorientierte Risikobuchhaltung“ zu Grabe tragen. Das liefert keinerlei Mehrwert – aber eine Menge Frustration bei den Risikoverantwortlichen. Man wird mit einem solchen Risikodokumentationssystem keinen Vorstand, Geschäftsführer oder Aufsichtsrat hinter dem Ofen herlocken. Derartige Systeme sind gottseidank vom Aussterben bedroht.
Zum anderen ist es wichtig, dass wir stärker mit Methoden arbeiten, mit denen aus der Zukunft gelernt werden kann. Aus meiner Sicht werden szenario- und simulationsbasierte Ansätze an Relevanz gewinnen. Auch Kreativitätsmethoden werden zukünftig eine größere Bedeutung haben. Warum berücksichtigen Risikomanager nicht beispielsweise stärker Verhaltensdaten oder quantitative Frühwarnsysteme? Bei den quantitativen Methoden ist es vor allem entscheidend, dass wir nicht zu viel Komplexität in die Umsetzung bringen. Denn die Ergebnisse müssen kommunizierbar bleiben. Hierbei werden einfache risikoadjustierte Performancemaße eine große Rolle spielen. Und die müssen nicht erst erfunden werden, sondern die gibt es bereits in der Praxis. Risikomanager sollten Methoden kennen und anwenden können, mit denen sie die mitunter recht komplexen und teilweise heute noch unbekannten oder nebulösen Risiken identifizieren, bewerten und (pro)aktiv steuern können.
Der dritte Aspekt ist neben der reinen Methodensicht am Wichtigsten: Das beste System für Risikomanagement bleibt unwirksam, wenn es nicht tagtäglich im Unternehmen gelebt wird.
Damit das Management der Chancen und Risiken nicht zu einem potemkinschen Dorf wird, muss Risikomanagement als wertschöpfender Prozess verstanden werden und in die Unternehmenssteuerung integriert sein. Nur so wird Risikomanagement zu einem strategischen und wertschöpfenden Instrument.
Teil 1 des Interviews finden Sie hier.
Frank Romeike ist Gründer des Kompetenzzentrums RiskNET – The Risk Management Network. Er ist Geschäftsführer und Eigentümer der RiskNET GmbH sowie Gründer und Gesellschafter von RiskNET Advisory & Partner. Romeike zählt international zu den renommiertesten und führenden Experten für Risiko- und Chancenmanagement und coacht seit rund 20 Jahren Unternehmen aller Branchen und Unternehmensgrößen rund um die Themengebiete Risiko- bzw. Chancenmanagement und wertorientierte Unternehmenssteuerung.