Unternehmen müssen sich in unsicheren Zeiten wappnen, um Risiken zu begegnen sowie die Organisation widerstandsfähiger gegen Krisen aufzustellen. Das Ziel: von der Risiko- zur Chancensicht gelangen. Dabei kommt dem Risikomanager im Gesamtprozess des Initiierens, Informierens und Vermittelns eines modernen Chancen- und Risikomanagements eine Schlüsselrolle in der Organisation zu.
Risikomanagementwissen gefragt
Mit dem Wissen ist es so eine Sache. Schon Sokrates stellte philosophisch fest: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Damit meinte er keinesfalls, dass er nichts wisse. Vielmehr stellt er das vordergründige Wissen infrage und zeigt, dass auch das Wissen über das Nichtwissen gleichsam Wissen bedeutet. Dieses Paradoxon bezieht sich auf das Scheinwissen und damit sind wir in unserer Epoche angelangt. In der Wirtschaftswelt von heute herrscht viel Schein und wenig Sein. Das beste Beispiel liefern die permanenten Skandale um Cyberangriffe, Lieferantenengpässe oder aus dem Ruder laufende Großprojekte. Und auch die Politik schwankt zwischen Halbwissen und Ratlosigkeit bei einem Blick auf die Wirtschaftskrisen, den Terror oder die anhaltenden Kriege quer über alle Kontinente. Im Kern dessen leben wir in einer Welt voller Unsicherheiten. Und für diese Krisenzeiten braucht es Navigatoren, die Unternehmen und Staaten sicher durch die vielfältigen Gefahren manövrieren. Ihr Name: Risikomanager. Ihr Vorteil: Das Wissen, wie mit Risiken aber auch Chancen umzugehen ist.
Mitte Mai 2017: Die Hackerattacke „WannaCry” infiziert hunderttausende Computersysteme in weit über 100 Ländern. Die Folgen sind Ausfälle bei der Automobilindustrie, der Bahn, in Krankenhäusern sowie bei Energieversorgern und Telekommunikationsunternehmen. Juni 2017: Der Bundestag beschließt den Abzug der Bundeswehr aus dem türkischen Incirlik. Grund ist das Verbot des Besuchs deutscher Bundestagsabgeordneter bei den in Incirlik stationierten deutschen Soldaten. Eine weitere Eskalationsstufe im zerrütteten Verhältnis zwischen Berlin und Ankara, das sich auch auf die Wirtschaftsbeziehungen auswirkt. Juli 2017: Die Finanzkrise „feiert“ ihr zehnjähriges Jubiläum und ist mit den wankenden EU-Staaten Italien und Griechenland längst nicht ausgestanden. Kopfzerbrechen bereitet den Finanzministern der EU-Staaten zudem der bevorstehende Brexit.
Organisationen müssen sich vorbereiten, in einer Welt im Umbruch
Drei Monate, drei Beispiele, die eines zeigen: Die Welt ist im Umbruch. Sie ist instabiler und unberechenbarer. Dass diese Vorfälle keine Zufälle sind, beweisen die letzten Jahre mit zunehmenden Risiken und Konflikten auf allen Kontinenten – analog und digital, mit direkten oder indirekten Auswirkungen auf die politischen, wirtschaften und gesellschaftlichen Kräfte. So unterschiedlich die Risikofaktoren sein mögen, verdeutlichen sie eines: Das Risikomanagement ist vielfältiger und zugleich anspruchsvoller geworden.
Der ganzheitliche Ansatz im Risikomanagement
Wer nun als Entscheider glaubt, dass sich solche Prozesse zum Risikomanagement im eigenen Unternehmen schnell mal nebenbei aufsetzen lassen, der irrt. Und doch gibt es diese Zweckoptimisten, wie die permanenten Verfehlungen von Unternehmen jeder Größe zeigen. Nicht nur, dass Topmanager sich wenig auf die oben beschriebenen globalen Risiken vorbereiten. Hinzu kommen Unzulänglichkeiten in Projekten sowie Zuliefererstreitigkeiten oder Korruptionsvorwürfe. Die Mängelliste in Firmen ist groß und nur wenige Unternehmen sind mit einem professionellen und modernen Risikomanagement gut aufgestellt. So kommt Dr. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), im Rahmen einer aktuellen Bitkom-Studie zu „Wirtschaftsschutz in der digitalen Welt“ zu dem Ergebnis, dass ein besonderes Augenmerk auf die Abwehr von Spionageangriffen auf die deutsche Wirtschaft zu richten sei. Und Maaßen fügt an: „Im Sinne eines ganzheitlichen und nachhaltigen Wirtschaftsschutzes gehören dazu nicht allein IT-bezogene Maßnahmen, sondern risikominimierende Pläne in den Bereichen Organisation, Personal und Sensibilisierung.“ Das ist durchaus richtig, vernachlässigt aber einen ganzheitlichen Ansatz zum Risikomanagement – inklusive moderner Methoden.
In diesem Sinne kommt eine internationale Studie von DNV GL und dem Marktforschungsinstitut GFK Eurisko zu dem Ergebnis, „dass die Hälfte der Unternehmen keine klare Risikomanagement Strategie vorweisen können (…)“. Doch genau diese Strategie braucht es mithilfe eines zukunftsgewandten Chancen- und Risikomanagements. Dies aufzubauen, weiterzuentwickeln und mit modernen Risikomanagementansätzen zu versehen, ist die Aufgabe eines Risikomanagers.
Wissensvermittlung in Theorie und Praxis
„Risikomanagement macht in unseren Zeiten mit einer global vernetzten, digitalen und gleichzeitig anfälligen Wirtschaftswelt Experten unerlässlich. Sprich, das Thema kann in Organisationen nicht nebenbei erledigt werden“, weiß Jan Offerhaus, Mitglied des Vorstands der Risk Management Association (RMA). Zu groß seien seiner Meinung nach die Gefahren vor rechtlichen Konsequenzen für Geschäftsführer und Aufsichtsräte aufgrund mangelnder Aufsichtspflicht. Mehr noch drohen Unternehmen massive finanzielle Einbußen sowie Reputationsschäden, sollten Risiken nicht erkannt oder leichtfertig missachtet werden.
Vielfältiges Know-how gefragt
Von daher ist die Investition in das Wissen eines modernen Risikomanagements unerlässlich. Auch aufgrund des vielfältigen Know-hows, das Risikomanager heute beherrschen müssen. Neben Mathematik sowie Betriebswirtschafts- und Methodenkenntnissen (inklusive Controlling), sollten Risikomanager Know-how in den Feldern des Qualitäts- und Projektmanagements und soziale Kompetenzen mitbringen. Gerade der Bereich der Kommunikation ist ein Knackpunkt. Denn Risikomanager sind auch Vermittler in der eigenen Organisationswelt. Sie müssen neue Ideen zum Gesamtrisikomanagement intern „bewerben“, den einzelnen Abteilungen offenlegen sowie Sinn und Zweck der bevorstehenden Veränderungen frühzeitig kommunizieren. Keine leichte Aufgabe, die Fingerspitzengefühl und Erfahrung braucht. Jan Offerhaus: „Eine fundierte Aus- und Weiterbildung im Risikomanagementumfeld ist entscheidend, um das notwenige Rüstzeug für den Beruf zu erlernen.“
Wichtig: ein genauer Blick auf die Ausbildungswege
Mittlerweile bieten Universitäten im In- und Ausland sowie im Verbund mit Organisationen diverse Weiterbildungsmöglichkeiten im Risikomanagementumfeld an. Doch Offerhaus gibt zu bedenken: „Interessenten sollten sich die Ausbildungswege ganz genau anschauen und darauf achten, dass neben Experten aus der Wissenschaft auch gestandene Risikomanager aus Unternehmen den jeweiligen Studiengang oder die Weiterbildung begleiten.“ Ihre Erfahrung hilft im Umgang mit den Themen und erweitert die Perspektive im Risikomanagement. Hinzu kommt nach Offerhaus Meinung ein weiterer wichtiger Faktor, nämlich der klare Praxisbezug der Ausbildung: „Es bringt nichts, die Themen zum Risikomanagement rein theoretisch abzuhandeln. Vielmehr müssen die Lernenden praktische Fälle bearbeiten, um daraus für die eigene Tätigkeit zu lernen.“ Wenn Unternehmen diese Leitplanken beachten und in die Wissensvermittlung ihrer Mitarbeiter in puncto eines modernen Risikomanagements gezielt investieren, stärken sie die eigene Organisation nachhaltig. Und mehr noch beugen sie einem riskanten Scheinwissen vor – eben mit mehr Sein denn Schein.
Marco Wolfrum ist Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der RMA. Er leitet als Partner bei der FutureValue Group AG den Bereich Leistungserstellung und übt die Leitung in einer Vielzahl von Projekten aus. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Financial Modelling, Risikomanagement, Rating sowie (risikogerechte) Unternehmensbewertung. Zudem ist er an Projekten zum Auf- und Ausbau von Risikomanagementsystemen in Unternehmen beteiligt. Hinzu kommt der Aufbau und die Weiterentwicklung von (stochastischen) Financial Models sowie von (statistischen) Datenauswertungen im Rahmen von Risikobewertungen oder Prognosemodellen. Darüber hinaus ist Marco Wolfrum Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und nimmt Lehraufträge wahr – unter anderem an der Steinbeis Hochschule Berlin sowie an der Universität Augsburg.