Als Konsequenz aus dem Wirecard-Skandal trat am 01. Juli 2021 das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) in Kraft. Dem Gesetz wird zwar einerseits eine gewisse Wirkungskraft attestiert, andererseits bewerten Experten die damit geschaffenen Regelungen als noch lange nicht ausreichend. Eine kritische Würdigung von Dr. K. Möckelmann, München.
Die gesetzlichen Anforderungen an die Risikoberichterstattung im Überblick
Der Ursprung der heute bestehenden Vorschriften zur Risikoberichterstattung ist das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), das 1998 in Kraft trat.
Die Ziele des KonTraG waren eine Verbesserung der Kontrolle und der Transparenz im Unternehmen durch ein Risikofrüherkennungssystem, stärkere Problem- und Risikoorientierung der Abschlussprüfung sowie Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Abschlussprüfer.
Mit dem KonTraG sollten Schwächen bei der Unternehmensführung in deutschen Unternehmen – international Corporate Governance genannt – beseitigt werden. Anlass waren die vorangegangenen großen Unternehmenskrisen wie z. B. die der Philipp Holzmann AG, der Balsam AG und der Schneider Elektronik AG.
Das KonTraG, ein Artikelgesetz, führte zu einer erheblichen Erweiterung des Aktiengesetzes und Handelsgesetzes. Es bildete die Basis für den anschließend erweiterten Ordnungsrahmen, mit dem eine professionelle Leitung und Überwachung des Unternehmens sichergestellt werden sollte.
In den Jahren nach der Einführung des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmen (KonTraG) gab es eine umfangreiche europäische Gesetzgebung zur Unternehmensberichterstattung, die in deutsches Recht umzusetzen war.
Es folgte eine Periode, in der die Bundesregierung sich mit der Umsetzung von Richtlinien der EU sehr viel Zeit ließ oder sie überhaupt nicht vornahm. Das geschah unter anderem, um bestimmte Wirtschaftszweige wie die Automobilindustrie oder die chemische Industrie zu protegieren. Auf der anderen Seite erlaubte man den an der Frankfurter Börse notierten DAX-Konzernen über den von ihnen geschaffenen Deutschen Corporate Governance Kodex, bestehende Gesetze nicht einhalten zu müssen.
Ende Dezember 2020 lag als Folge des Wirecard Skandals der Gesetzentwurf zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) – die größte Reform der deutschen Wirtschaftsgesetze seit 1998 – dem Bundestag zur Beschlussfassung vor.
Der Finanzausschuss des Bundestages vollbrachte die Leistung, den teilweise nicht schlüssigen Gesetzesvorschlag und die große Anzahl von Änderungsanträgen der Bundestagsparteien zu beurteilen und dann selbst Regelungen mit Blick auf die vom Gesetz zu erreichenden Ziele und die Durchsetzbarkeit vorzuschlagen. Die Synopse des Gesetzesvorschlags der Regierung mit den Vorschlägen des Finanzausschusses befindet sich im Protokoll der Video-Bundestagssitzung vom 20. Mai 2021. Es gelang, das Gesetz in 2. und 3. Lesung an diesem Abend zu behandeln.
Anschließend lehnte die Mehrheit des Deutschen Bundestags alle Änderungsanträge ab und beschloss das Finanzstabilitätsstärkungsgesetz (FISG) in der vom Finanzausschuss vorgeschlagenen Fassung.
Einige andere, die Unternehmensberichterstattung betreffenden Gesetze, sind noch nicht vom Bundestag beschlossen worden. Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex mit seinen Risiken für die Wirtschaft existiert noch. Das bedeutet, alte Regelungen stehen in Konflikt zu widersprechenden neuen Gesetzen.
Das ist bedauerlich, da dies die vollständige und wirksame Einführung des Risikomanagementsystems per Gesetz bei einigen Konzernen über Jahre verhindern kann. So wird es noch einige Zeit dauern, bis die Unternehmensführungen einiger bekannter Börsenkonzerne solche Risiko- und Chancenberichte veröffentlichen, die den Grundsätzen ordnungsmäßiger Berichterstattung und auch der Wahrheit entsprechen.
Bei der externen Risikoberichterstattung sind noch weitere gesetzliche Anforderungen zu berücksichtigen: die EU-Richtlinien. Von diesen wird als erstes Beispiel die direkt geltende EU-Richtlinie 2014/49/EU über Einlagensicherungssysteme erwähnt. Als Reaktion auf die Finanzkrise 2008 wurden europaweit geltende Einlagensicherungssysteme entwickelt, um die Risiken von Banken-Einlagen abzusichern, Ziffer (36) der Richtlinie macht ersichtlich, welche entscheidende Bedeutung der Risikobewertung, dem Risikomanagement und der Risikoberichterstattung auf diesem Sektor zukommt.
In den Jahren nach Erlass des KonTraG folgten weitere Gesetze zum Risikomanagement, wie die folgende Tabelle zeigt:
Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität vom 20. Mai 2021
Die Initiative zu diesem Gesetz ging vom Bundesfinanz- und vom Bundesjustizministerium aus. Es handelt sich wie bei dem entsprechend weitreichenden Gesetzespaket des Jahres 1998, dem „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)” um ein Artikelgesetz, das auf verschiedenen Rechtsgebieten zu Änderungen führt. Mitte Dezember 2020 kam nach langem Zögern die Zustimmung vom Bundeswirtschaftsministerium, dem dritten für die Unternehmenskontrolle zuständigen Ministerium. Der Gesetzentwurf zum FISG wurde anschließend vom Bundeskabinett beschlossen.
Vor dem Bundestagsausschuss zur Aufklärung des Wirecard-Skandals äußerte der Bundesfinanzminister, man wolle den Gesetzentwurf so schnell wie möglich in den Bundestag einbringen, um es der Wirtschaftslobby zu erschweren, dagegen zu agieren.
Viele der neuen Vorschriften des FISG hätten schon seit Jahren Bestandteil der Gesetzgebung sein müssen. Das holte man jetzt nach den schlechten Erfahrungen mit der Unternehmensberichterstattung und der mangelhaften staatlichen Unternehmensaufsicht der Börsenunternehmen auf breiter Front nach. So gibt es künftig die sich als notwendig erweisenden härteren Sanktionen bei Nichteinhaltung von Vorschriften.
Ganz neu dazu kommen sollte das nach vielen vergeblichen Anläufen nun im Gesetzgebungsprozess befindliche Unternehmensstrafrecht. Es war schon von der Bundesregierung beschlossen und an den Bundestag eingereicht, da wurde auf einer Tagung der CDU/CSU-Fraktion beschlossen, man werde diesem Gesetz im Bundestag nicht zustimmen. Damit wurde von der bisherigen Regierungsmehrheit aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Börsenlobby das längst fällige, in modernen Staaten vorhandene Strafrecht für Unternehmen verhindert.
Das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität soll die Funktionsfähigkeit des deutschen Finanzmarkts wiederherstellen. Dabei nimmt das FISG an mehreren Stellen Bezug auf den Deutschen Corporate Governance Kodex. Nur die Eingeweihten merken bei den dabei unverändert gemachten positiven Äußerungen zum Kodex, dass hier dessen gesetzwidrigen Sonderregelungen für die börsennotierten Konzerne beseitigt werden sollen. Sie werden durch die bereits allgemein gültigen Vorschriften oder durch neue Gesetzesvorschriften ersetzt.
Bei den Erläuterungen zum Gesetzentwurf geht die Bundesregierung nicht auf die wahren Gründe der Gesetzesreform ein. Sie will mit allen Mitteln verhindern, dass die von Dr. Carl Ehlers aufgedeckte Tatsache, die jahrzehntelange stillschweigende Genehmigung der Rechtswidrigkeiten bei den börsennotierten Unternehmen, an die Öffentlichkeit kommt. (Den Beitrag von Dr. Ehlers finden Sie hier.)
So wird wider besserem Wissen behauptet, der Unternehmensvorstand habe volle Freiheit, ob sein Unternehmen ein Risikomanagementsystem hat oder nicht. Auch wird so getan, als ob die Index-Unternehmen der Frankfurter Börse neuerdings im Bereich der Risikofrüherkennung strengere gesetzliche Vorschriften bekämen. Neu ist nur, dass diesen Unternehmen jetzt explizit vorgeschrieben wird, dass sie ein funktionierendes, konzernweites Risikomanagementsystem haben müssen. Wenn nicht, werden sie hoch bestraft. Hier handelt es sich um bewusst unrichtige Behauptungen, damit niemand auf die Wahrheit kommt: Das private Regelwerk der Börsenkonzerne, genannt „Deutscher Corporate Governance Kodex”, wird auch jetzt noch von der Regierung jährlich unbesehen genehmigt. Es bietet unehrenhaften Unternehmensführungen die Möglichkeit, Gesetze nicht zu beachten, wodurch es seit 2002 ständig zu den großen Unternehmensskandalen bekannter deutscher börsennotierter Konzerne kommt.
Dr. Klaus Möckelmann war in leitenden Positionen in internationalen Konzernen und Familiengesellschaften u.a. als Finanz-Vorstand tätig. Bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PKF-Fasselt leitete er über viele Jahre den Bereich „Risikomanagement“. Derzeit arbeitet Dr. Möckelmann mit Veröffentlichungen, als Dozent und im Rahmen der RMA e.V. an der Weiterwicklung des Risikomanagementsystems.