„Kleine Firma, kleine Sorgen. Wachsende Firma, wachsende Sorgen.“ Auf diesen Nenner reduzierte es das Wirtschaftsmagazin „brand eins“ in einem Beitrag zu „Wachstum tut weh“. Wie schmerzlich dieses Wachsen sein kann, erfahren Unternehmen jeden Tag. Und nicht nur die, sondern auch Projekte und deren Verantwortliche. Kurzum: Aus dem Ruder laufende Projekte sind in den Medien mittlerweile eine feste Größe in der Berichterstattung. Sei es die scheinbar nicht enden wollende Geschichte um den Hauptstadtflughafen BER oder die nun nach einem teuren Kraftakt eröffnete Elbphilharmonie in Hamburg. Und wer erinnert sich nicht an das gescheiterte Transrapid-Projekt, das sich als teure Fehlplanung entpuppte. Große Projekte, große Sorgen, die am Ende mit einer Kostenexplosion sowie Reputationsschäden für die Verantwortlichen einhergehen.
Das Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler bringt es plakativ auf folgende Punkte: „Die Gesichter der Verschwendung: Fehlplanung, Selbstbedienung, Menschliches Versagen, Eitelkeiten, Kommunikationspannen, Unvernunft, Prestige, Eigenwerbung, Unkenntnis, …“. Diese Verschwendung von Geld, Ressourcen und Ansehen in Projekten, gilt es für Verantwortliche frühzeitig zu erkennen. Ein wichtiges Instrument ist in diesem Zusammenhang das Projektrisikomanagement, mit dem Projektrisiken möglichst frühzeitig identifiziert und bewertet werden. Solch ein Projektrisikomanagement gilt es bereits mit der Projektinitiierung aufzusetzen sowie alle Beteiligten noch vor Projektbeginn in den Gesamtprozess einzubinden. Denn viele Risikofaktoren können meist schon vor Projektbeginn in der Risikolandkarte aufgezeigt, bewertet und mit risikomindernden Maßnahmen versehen werden. Stimmen beispielsweise die Projektbudgets, wie klar und realistisch sind die Projektziele und wurde ausreichend zeitlicher Puffer in die Planung aufgenommen? Sind mögliche Risiken und deren Auswirkungen auf das Projekt in den einzelnen Gewerken, Teilprojekten oder Arbeitspaketen umfassend berücksichtig und bewertet? Das alles klingt zunächst nach banalen Fragen. Aber in der Realität zeigt sich vielfach, dass scheinbar einfachste Risiken vor Projektbeginn nicht im Projektmanagement erfasst und systematisch beantwortet werden. Und an dieser Stelle sind wir noch nicht bei weitreichenden Fragen zu Kredit- und Währungsrisiken, geopolitischen Gefahren, projektweiten Kommunikationsabläufen inklusive kultureller Unterschiede oder dem Thema Korruption.
Projektrisiken und die Prozessvokabel
Trotz des Fingerzeigs sollte vor der Initiierung und Planung eines Projekts allen Beteiligten klar sein, dass mit Projektstart immer Unsicherheiten für die Zielerreichung bestehen. Dafür ist die Projektwelt von zu vielen Faktoren abhängig. Sei es durch plötzlich auftretende Störungen oder in puncto der festgelegten Ziele sowie aufgrund von unvorhergesehenen Problemstellungen, deren Lösung mehr Zeit erfordert als ursprünglich eingeplant. Die Unternehmensberatung Roland Berger identifizierte in einer Studie mit dem Titel „Keep your Megaproject on Track“ von 2015 „die Unvorhersehbarkeit von Umständen und Komplikationen (…)“ als einen Grund für das Scheitern von Megaprojekten. Und die Studie nennt drei weitere Faktoren: die hohe Komplexität, der bahnbrechende Charakter ohne Standardverfahren sowie die sich ändernde Dynamik der Akteure im Projektverlauf.
Bei diesen Faktoren kreist immer das Damoklesschwert des Prozesses mit, obwohl oder gerade, weil im Geschäftsumfeld immer und überall von Prozessen die Rede ist. Geschäftsprozess, Sicherheitsprozess, Prozesswelt, IT-Prozess, Prozessdenken und der Kommunikationsprozess, um nur einige der beliebten Prozessvokabeln zu nennen. Dass es trotz der inflationären Anwendung des „P-Wortes“ in allen nur erdenklichen Geschäftsbereichen immer wieder hapert, müssen auch Projektverantwortliche leidvoll erfahren. Ein Beispiel: Steigt die Projektgröße, steigen meist auch die Fehler in den Entscheidungsprozessen, womit wir wieder beim Ausgangspunkt und den wachsenden Sorgen wären.
Und doch gibt es auch gut laufende Großprojekte, wie der Gotthardt-Basistunnel zeigt. Im Sommer 2016 und nach 15 Jahren Bauzeit eingeweiht, lag das Projekt sogar ein Jahr unter der angestrebten Eröffnung für 2017. Das Online-Portal von „tagesschau.de“ schrieb hierzu: „Beim Mammut-Bauwerk Gotthard-Basistunnel lief so ziemlich alles besser als bei vergleichbaren Projekten in Deutschland, wie „Stuttgart 21“, der Hamburger Elbphilharmonie oder des Berliner Flughafens BER.“ Trotz Verzögerungen beim Bau und höheren Kosten von rund 12 Milliarden Franken (statt der anfänglich prognostizierten acht Millionen Franken) konnten die Projektverantwortlichen im Laufe des Baus schnell gegensteuern. „Auch, weil es in allen Bauphasen große Transparenz und strenge öffentliche Kontrolle durch einen Parlamentsausschuss gab“, so tagesschau.de. Damit zeigt sich, dass vieles mit einer offenen sowie transparenten Projektkultur und Kommunikation – inklusive regelmäßiger und unabhängiger Kontrollen, die umfangreiche Risikobewertungen beinhalten – besser zu stemmen ist.
Von Menschen und Methoden
Das Schweizer Beispiel macht deutlich, wie wichtig die handelnden Akteure in Projekten und für deren Gelingen sind. Das heißt im Umkehrschluss, dass den Entscheidern inklusive des Personals per se eine Schlüsselrolle innerhalb eines Projekts zukommt. Ergo braucht es die notwenige Reife und Erfahrung des Projektleiters – inklusive der Fähigkeit einer ausgeprägten Kommunikation sowie des Verhandelns und Vermittelns, gerade in Krisensituationen. Im Klartext bedeutet das, Fachwissen alleine reicht im Falle einer Projektleitung nicht aus. Vielmehr sind vor allem soziale Fähigkeiten gefragt. Denn mit steigender Projektgröße steigt auch die Schwierigkeit, unterschiedliche Menschen, Charaktere und Interessen an einen Tisch zu bekommen sowie alles unter einem Projekthut zielführend zu vereinen.
Zugespitzt formuliert kommt dem Projektmanagement stets auch die Aufgabe des Risikomanagements zu. Damit ist jeder Projektverantwortliche gleichzeitig Risikomanager. Doch die Fähigkeiten eines Risikomanagers müssen erlernt werden. Darüber sollten sich Projektplaner vor Beginn ihrer Vorhaben klar sein. Es gilt also, notwendiges Know-how aufzubauen, zu erweitern und in der Praxis zu proben.
Fundierte Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Risikomanagementumfeld bieten mittlerweile Universitäten im Verbund mit verschiedenen Fachorganisationen an. Ein Beispiel ist das Weiterbildungsprogramm der Universität Würzburg (Forschungszentrum Risikomanagement) in Kooperation mit der Risk Management Association (RMA). Gemeinsam veranstalten sie das mehrtägige Weiterbildungsprogramm zum Enterprise Risk Manager (Univ.) in Theorie und Praxis. Weitere Hochschulen und private Einrichtungen folgen diesem Weg. Ein Vorteil solcher Programme ist es, dass die Teilnehmer unter anderem neue Methoden im Risikomanagement von erfahrenen Risikomanagern lernen, diese in Simulationen sowie Planspielen anwenden und sich so das notwendige Rüstzeug – auch für spätere Projekteinsätze – aneignen. Gut üben lässt sich das Anleiten von Fachkräften zur Identifikation und Bewertung von Risiken. Immer wieder ist es zu beobachten, dass Fachkräfte in solchen Workshops unisono mit dem Satz beginnen: „Bei uns ist alles sicher.“ Der Workshop sensibilisiert die Experten für das Denken in Risiken und schafft damit die Grundlage für die notwendigen Sichtweisen.
Flankiert von etablierten Projektstandards können Unternehmen ihre Projektplanungen und -ziele klarer formulieren sowie wichtige Leitplanken setzen. Leitplanken, die sich darüber hinaus mithilfe von Handlungslinien besser abbilden lassen. So plant der RMA-Arbeitskreis „Project Risk Management“ einen Leitfaden zu erstellen, der ein praxisnahes Projektrisikomanagement vorschlägt. Der Leitfaden ist zweistufig: Zunächst wird die Komplexität des Projektes bewertet. Je nach Komplexitätsgrad werden unterschiedliche Handlungsempfehlungen für das Projektrisikomanagement in allen Phasen des Projekts vorgeschlagen. Hinzu kommen grundsätzliche Anforderungen an Tools für ein professionelles Projektrisikomanagement. Mit dem Arbeitskreis Projektrisikomanagement setzt die RMA Standards für die tägliche Arbeit – mit einem hohen Praxisbezug und konkreten Anwenderbeispielen. Wenn Unternehmen diese Faktoren berücksichtigen, werden aus teils großen Projektsorgen kleine und die Prozesse funktionieren – auch ohne permanente Prozessvokabeln. Und dann klappt es auch mit dem eigenen Projekt.
Weitere Informationen unter www.rma-ev.org.
Dr. Roland Spahr ist Geschäftsführer der Blue Mountain Immobilien GmbH & Co. KG. Seit 17 Jahren berät er Unternehmen zu Themen des Finanz- und Risikomanagements. Dazu gehören strategische und methodische Fragestellungen des Kreditrisikos, des Supply Chain und Enterprise Risk Managements sowie des Erfüllens regulatorischer Anforderungen. Zu seinen vorherigen Arbeitgebern gehören KPMG, BearingPoint, PwC und Accenture.
Dr. Spahr ist Bankkaufmann, hat an der Universität in Kiel BWL studiert und an der Universität in Göteborg mit einem Master of Business Administration abgeschlossen. Er promovierte am Kieler Institut für betriebswirtschaftliche Innovationsforschung und verfasst seitdem zahlreiche Artikel und Vorträge zum Risikomanagement. 2013 hat er den RMA-Arbeitskreis für Supply Chain Risk Management ins Leben gerufen und ist seit 2016 Mitglied im Vorstand der RMA.