Ein Gastbeitrag von Dr. Stephanie Nöth-Zahn, Principal bei Horváth & Partner
Es gibt derzeit wohl kaum ein Schlagwort, das so in aller Munde ist wie „Digitalisierung“ und „Big Data“. Die Chancen seien riesig, heißt es – für diejenigen, die sie zu nutzen wissen. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass mich viele meiner Kunden fragen, welche Big-Data-basierten Lösungen wir für das Risikomanagement haben. Natürlich haben wir uns im Team ebenfalls gefragt: Wie können Risikomanager in Zeiten wachsender Komplexität noch handlungsfähig bleiben? Wie können wir die Unmenge verfügbarer Daten, die laufend rund um den Globus entstehen – eben Big Data – nutzen, um möglichst frühzeitig potenzielle Risiken zu identifizieren und damit Handlungsspielraum zu gewinnen? Wie können wir Big Data in die Risikomanagementsysteme einbinden? Und wie lässt sich überhaupt erkennen, welche Informationen aus dem unendlichen Datenstrom für das jeweilige Unternehmen relevant sind?
Kurzum: Wie könnte ein Instrument aussehen, das automatisiert sehr früh potenzielle Risiken und Chancen basierend auf Echtzeitanalysen von Big Data erkennt und meldet?
Schwache Signale sind stark gefragt
Die frühzeitige Risikoerkennung und damit die Suche nach primär schwachen Signalen ist seit jeher eine der größten Herausforderungen für das Risikomanagement. Im Falle von Länderrisiken orientiert sich der Risikomanager häufig an den Kursen von Credit Default Swaps zur Einschätzung der wirtschaftlichen Stabilität. Er nutzt sie als makroökonomische Indikatoren. Credit Default Swaps stellen das verdichtete Ergebnis vieler einst schwacher Signale in Form mikroökonomischer Events dar. Der Informationsgehalt ist hoch, jedoch sind die Daten bereits in dem Moment veraltet, wo sie veröffentlicht werden.
Gefragt ist daher eine noch frühere Erkennung schwacher Signale, denn damit würde sich der Handlungsspielraum für den Risikomanager und das Unternehmen signifikant vergrößern. Zum Beispiel könnte etwa die Häufung von einzelnen Tweet-Nachrichten bereits in einem frühen Stadium auf ein mögliches, sich entwickelndes Problem hinweisen. Schwache Signale markieren den Beginn in der Entstehungsgeschichte von Risiken. Diese aufzuspüren ist also extrem wichtig und gleichzeitig sehr schwierig. Es gleicht dem sprichwörtlichen Hören des Flügelschlags eines Schmetterlings als möglicher Vorbote aufkeimender Risiken in komplexen und dynamischen Systemen (Butterfly Effect).
Bisherige Quellen unzureichend
Die Bereitstellung von Informationen erfolgt heute über zwei Mechanismen. Zum einen per Push-Mechanismus, wie im Beispiel von Nachrichtenagenturen: Diese versorgen den Adressatenkreis ohne mögliche semantische Kalibrierung der Datenströme mit Informationen. Zum andern per Pull-Mechanismus, wie bei den webbasierten Suchmaschinen à la Google: Zwar ist durch die zielgerichtete Abfrage eine Filterung von Daten möglich. Weil sie aber bewusst als general-purpose Suchmaschinen ausgerichtet sind und keine spezielle Kenntnis zur Kategorie der gesuchten Information haben, werden zielgerichtete Abfragen des Anwenders nicht semantisch verstärkt. Der Natur der Sache geschuldet ist das Ergebnis der generischen Suchmaschine somit beschränkt: es werden die stärksten Datenknoten im Web identifiziert, die die größte Übereinstimmung mit der speziellen Suchanfrage erzielen und darüber hinaus nicht zwingend die adressierte Kategorie (hier Risiko) betreffen. Das bedeutet:
- Die Suche ist zwingend auf den aktuellen Erkenntnishorizont des Anwenders beschränkt in Form der speziell gestellten Suchanfrage. Aber: You don’t know what you don’t know.
- Ohne Verankerung eines semantischen Grundverständnisses zur gesuchten Kategorie im Suchmaschinenalgorithmus werden Ungenauigkeiten der gestellten Suchanfrage nur bedingt verziehen.
- Schwache Datenknoten, beziehungsweise schwache Signale, entsprechen nicht dem Suchmuster der Maschine und werden in aller Regel ignoriert.
Chancen eines Big-Data Risk Radars
Wo Suchmaschinen und manuelle Suchanfragen an ihre Grenzen geraten, werden die Chancen von Big-Data-Analysen und lernfähiger Heuristiken, die speziell für das Thema Risiko entwickelt werden, greifbar.
In enger Zusammenarbeit mit unseren Kollegen vom Horváth & Partners Steering Lab, die Experten für Advanced Analytics und mathematische Modelle sind, bauen wir gerade ein Big-Data Risk Radar, welches schwache Signale automatisiert aufspürt und die Suchergebnisse auf Basis bisher gewonnener Erkenntnisse mit Hilfe sogenannter Deep-Learning-Algorithmen fortwährend und selbstständig verbessert.
Wir verstehen das Risk Radar als intelligentes Maschennetz, in dem insbesondere schwache Datenknoten aus dem Datenmeer gefischt werden, deren Existenz, Zusammenhänge und Ausprägungen bisher jenseits des Erkenntnishorizonts des individuellen Risikomanagers lagen.
Das Risk Radar soll die aktuell im Einsatz befindlichen Prozesse und Regeln zur Identifizierung und Bewertung latenter sowie manifestierter Risiken grundlegend verändern und verbessern. Als out-of-the-box Tool muss es sich unkompliziert in bestehende Prozesse und IT-Landschaften einbetten lassen. Analog zu den beiden Dimensionen klassischer Risikomatrizen „Impact“ und „Probability”, soll auch das Risk Radar identifizierte Datenknoten bewerten.
Das Ziel: Im Unternehmen bestehende Risiken können einfach um Big-Data-Faktoren erweitert werden. Dabei sollen relevante Risiken und Chancen automatisiert erkannt werden, so dass sich der manuelle Rechercheaufwand reduzieren lässt. Ein weiteres von uns gefordertes Feature: Welche Risiken und Chancen die intelligente Suche als relevant einstuft, soll per individualisierter Kalibrierung auf das spezielle Risikoumfeld des Anwenders beeinflusst werden können. Die Kalibrierung selbst folgt dabei einer intuitiven, semantischen Logik und verzichtet auf kryptische Parametereinstellungen.
Folgende Tabelle veranschaulicht die entscheidenden Vorteile eines Risikomanagements mithilfe des Risk Radars, wie wir es gerade entwickeln.
Handlungsfähigkeit erhalten und ausbauen
In Zeiten wachsender Komplexität und steigender Informationsverfügbarkeit benötigen Risikomanager heute neue Instrumente, um weiterhin handlungsfähig zu bleiben. Mit dem Risk Radar wollen wir ein solches Instrument schaffen, das einen erheblichen Vorteil für das Risikomanagement im Spezifischen als auch für die Unternehmensführung im Generellen bringt. Denn in seichtem Gewässer verlangt eine erfolgreiche Steuerung des Unternehmens die Kenntnis über alle Sandbänke – sichtbar oder verborgen – im Sinne risikobasierten Entscheidungsmanagements.
Denn „Probleme werden am besten dadurch gelöst, indem man sie erkennt, bevor sie zu Problemen werden.“ (Prof. Dr. Erich Zahn, Horváth & Partners Gründungsmitglied)
Was denken Sie darüber? Überzeugt Sie dieser Ansatz? Was möchten Sie uns mit auf den Weg geben? Sind Sie interessiert, die Möglichkeiten der Big-Data-Analysen für das Risikomanagement kennenzulernen oder gar mit zu entwickeln? Weitere Informationen erhalten Sie unter www.horvath-partners.de.
Über die Autorin
Dr. Stephanie Nöth-Zahn ist Principal bei Horváth & Partner und verantwortet die methodische Konzeption des Risk Radar. Seit 11 Jahren berät sie Unternehmen in Deutschland, UK und Schweden zu Themen des Risikomanagements. Dazu gehören strategische und methodische Fragestellungen des Enterprise Risk Managements, Internes Kontroll System sowie auch IT bezogenen Fragestellungen wie Identity Risk Access Management. Dr. Nöth-Zahn hat in Edinburgh/Schottland in Kooperation mit dem Strascheg Center for Entrepreneurship zum Thema emergente Risiken in deutschen Banken promoviert und forscht weiterhin auf diesem Gebiet.
An der Erstellung des Artikels haben zudem Yasemin Toprak und Philipp Jochimsen mitgewirkt.