„Heute wegen Krise geschlossen“ – Wie sage ich es meinen Kunden?
Ein Beitrag von Matthias Hämmerle, haemmerle-consulting
1. KRISENKOMMUNIKATION IM B2B-BEREICH
Bei der Suche nach Literatur für Krisenkommunikation wird man beinahe erschlagen von der Menge an Ratgebern. Eine Suche in Amazon nach dem Stichwort „Krisenkommunikation“ erzielt alleine 210 Ergebnisse in der Rubrik Bücher. Der Großteil dieser Ratgeber beschäftigt sich mit der richtigen Kommunikation in einer Krise mit Presse und Öffentlichkeit. Der Umgang mit sozialen Medien oder gar durch soziale Medien verursachte Krisen (Bsp. Shitstorm) bildet einen weiteren Schwerpunkt der Literatur. Man könnte beim Studium dieser Literatur daher zum Schluss kommen, dass jede Krise früher oder später in der Presse oder in den sozialen Medien landet. Wäre dies jedoch der Fall, würden unsere Zeitungen aus endlosen Seiten bestehen und Heerscharen von Pressevertretern würden sich nur mit Unternehmenskrisen beschäftigen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Gerade im Business to Business-Bereich (B2B) finden sehr wenige Krisen den Weg in die Presse und Öffentlichkeit. Ausnahmen bilden zum Beispiel Produktionsunterbrechungen bei namhaften deutschen Autoherstellern durch Lieferunterbrechungen bei Lieferanten oder medienwirksame Unfälle. Der ganz überwiegende Teil von Notfällen im B2B-Bereich, die eine Krisenkommunikation erforderlich machen, erblickt jedoch nie das Licht der Öffentlichkeit.
Gerade für diese Fälle gilt das BCM-Credo „pe prepared“ in besonderem Maße. Die Transparenz in den B2B-Märkten ist oftmals sehr hoch, die Konkurrenz groß. Ein schlechtes Krisenmanagement bei einer Produktions- und Lieferunterbrechung kann schnell zum Verlust von Kunden führen und Wachstum oder gar Existenz eines Unternehmens nachhaltig schädigen. Unabhängig davon, ob die Ursache selbst (mit-) verschuldet ist oder das Schicksal zum Beispiel in Form von Unwetter zugeschlagen hat.
Eine gut vorbereitete und umgesetzte Krisenkommunikation kann einen Vertrauensverlust bei den Kunden verhindern und im besten Falle sogar das Vertrauen in das Unternehmen stärken und die Kundenbindung erhöhen.
In diesem Beitrag sollen daher die „Stellhebel“ der Krisenkommunikation im Business-to-Business-Bereich aufgezeigt und Handlungsempfehlungen für die Prävention abgeleitet werden.
2. VERTRAUEN – DER KRITISCHE ERFOLGSFAKTOR IN GESCHÄFTSBEZIEHUNGEN
Was bewegt Kunden dazu, Leistungen bei Anbietern zu beziehen?
Neben den Faktoren Produkt, Funktionalität, Service, Qualität und Preis spielt das Vertrauen in den Anbieter eine zentrale Rolle bei der Entscheidung für einen Lieferanten oder Dienstleister.
Vertrauen darin, dass der Anbieter
- seine zugesagten Leistungen zuverlässig in der vereinbarten Qualität erbringt,
- alles Notwendige dafür tut, um seine Existenz und Lieferfähigkeit zu sichern,
- offen, ehrlich und zeitnah relevante Störungen, Notfälle, Sicherheitsvorfälle kommuniziert,
- die vereinbarte Vertraulichkeit wahrt.
Vertrauen in einer Lieferbeziehung führt zu einer stabilen Lieferbeziehung und ökonomisch zu einer Verringerung der Transaktionskosten. Audits, Kontrollen und Sicherungsmaßnahmen können vereinfacht und / oder gar reduziert werden. Mit zunehmender Dauer der Lieferantenbeziehung wird das Vertrauen beiderseits weiter aufgebaut und gestärkt.
Kommt es bei einem Lieferanten eines Produktes oder einer Dienstleistung zu einer Störung, Notfall oder Krise, gilt es, dieses über Jahre aufgebaute Vertrauensverhältnis zu erhalten. Der professionelle Umgang des Lieferanten mit einer Störung ist entscheidend für die Wahrnehmung durch den Kunden. Hierzu zählt neben den vorbereiteten Maßnahmen zur Wiederherstellung der Lieferfähigkeit auch die Information über das Ereignis und die Kommunikation mit den Kunden. Der Umgang mit einer Lieferstörung kann im schlimmsten Fall das Vertrauen des Kunden in den Lieferanten zerstören.
Dies ist dann der Fall, wenn der Kunde feststellen muss, dass der Lieferant keine angemessenen Vorbereitungen zum Beispiel in Form eines Business Continuity Managements getroffen hat und / oder der Lieferant über die Störung nicht angemessen oder vereinbarungsgemäß kommuniziert. Auf der anderen Seite kann ein professioneller Umgang mit einer Störung das Vertrauen des Kunden in den Lieferanten sogar stärken und verbessern. Die richtige Krisenkommunikation ist hierbei einer der zentralen Faktoren für den Verlauf der Vertrauenskurve bei einer Lieferstörung durch den Lieferanten.
3. STELLHEBEL DER KRISENKOMMUNIKATION IM B2B-BEREICH
Stellen Sie sich vor, die kritischen Lieferungen oder Dienstleistungen durch einen wichtigen Lieferanten sind unterbrochen und
- Ihr Lieferant meldet sich nicht und ihre Ansprechpartner sind auch nicht erreichbar.
- Die Informationen, die sie erhalten, kommen von verschiedenen Personen und sind widersprüchlich.
- Unter den Kunden des Lieferanten verbreiten sich Gerüchte über die Ursachen der Lieferstörung.
- Einige Mitbewerber, die auch bei diesem Lieferanten beziehen, scheinen viel besser über die Ereignisse informiert zu sein, obwohl sie viel kleinere Abnahmemengen einkaufen.
- Sie wissen nicht, ob der Lieferant Maßnahmen zur Wiederherstellung der Lieferungen unternimmt und welche dies sind.
Aus Sicht des Lieferanten stellt sich die Lage vielleicht so dar:
- Die genauen Ursachen, die zur Produktionsunterbrechung geführt haben, können nicht geklärt werden.
- Es gibt kein klares Lagebild, welche Kunden und welche Kundenaufträge von der Störung betroffen sind.
- Viele verantwortliche Personen sind gerade in Urlaub oder auf Geschäftsreise.
- Es gibt ein Krisenmanagement, doch der Krisenstab wurde nicht einberufen, da ständig von einer schnellen Fehlererkennung und -behebung ausgegangen wird (im Englischen wird dies treffend als „rolling disaster“ bezeichnet).
- Die Mitarbeiter an den Telefonen sind von den vielen Anfragen zu verzögerten Lieferungen völlig überfordert. Sie versuchen die Kunden zu beschwichtigen, was jedoch nicht erfolgreich gelingt.
- Es gibt keine einheitliche und verbindliche Sprachregelung gegenüber den Kunden.
- Es ist unklar, wer auf die Kunden zugeht: Geschäftsleitung, Pressestelle, Key Account Manager oder Kunden-Hotline.
Dies sind eindeutige Indizien, dass das Krisenmanagement und die Krisenkommunikation des Lieferanten in dieser kritischen Situation offensichtlich versagt haben. Doch wie hätte eine funktionierende Krisenkommunikation aussehen müssen?
Ein Lösungsansatz hierfür ist die Übertragung des im Krisenmanagement bewährten Entscheidungsmodells FORDEC (Fact-Options-Risks-Decision-Execution-Control) auf die Planung und Ausgestaltung der Krisenkommunikation.
Für die Kommunikation mit den Kunden in einer Krise sind eine Reihe von „Stellhebeln“ aufeinander abzustimmen, damit die Kommunikationsmaschinerie funktioniert.
- Facts:
Die Ursache der Lieferstörung entscheidet über Zeitpunkt, Inhalt und Adressaten der Krisenkommunikation. Liegt die Ursache in einem bekannten Extremwetterereignis sieht die Kommunikation ganz anders aus, als bei einer Cyber-Attacke mit womöglich kompromittierten Kundendaten und verdeckten Ermittlungen nach den Tätern - Options:
Die Krisenkommunikation besteht aus vielen einzelnen Variablen, die gut aufeinander abzustimmen sind. Wer kommuniziert was wann wie und mit wem, sind die wichtigen „W-Fragen“, die festzulegen sind. In einer Krise ist es nicht mehr möglich, all diese Optionen zu überblicken und zu „orchestrieren“. Die Krisenkommunikation muss daher sorgfältig geplant, dokumentiert und getestet werden. Hierzu gehört auch die Festlegung von Prioritäten. Oftmals ist es nicht möglich und sinnvoll alle Kunden in gleicher Weise zu informieren. Kunden und Kundenaufträge müssen daher nach transparenten Regeln priorisiert werden. Die Rollen in der Kommunikation müssen eindeutig verteilt sein. - Risks und Options:
Jede Kommunikation nach außen birgt Risiken. Vertrauliche Informationen an Kunden können zum Beispiel an die Öffentlichkeit oder an Mitbewerber dringen. Diese Risiken sind in der Ausgestaltung der Kommunikation mit zu betrachten und Vorsorgemaßnahmen für den Eintrittsfall vorzusehen. - Decisions:
Krisenkommunikation muss in ein funktionierendes Krisenmanagement eingebunden sein. Nur dies gewährleistet, dass Entscheidungen zeitnah und aufeinander abgestimmt getroffen und nicht verschleppt werden. „Vor die Lage zu kommen“ ist das Ziel auch in der Kommunikation. - Execution:
Eine entscheidende Frage ist, wer in der Krise welche Rolle in der Kommunikation verantwortet. Die Rollen reichen von der Geschäftsführung über Pressesprecher, Key Account Manager bis zur Kunden- und Bestellhotline. - Control:
Kommen die gesendeten Botschaften richtig bei den Empfängern an? Müssen Form, Inhalt, Kanal, Sender, Empfänger der Kommunikation optimiert werden?
Die „Stellhebel“ in der Krisenkommunikation:
4. BE PREPARED – FÜNF PRÄVENTIVE MAßNAHMEN FÜR DEN FALL DER FÄLLE
Krisen verlaufen nicht nach Plan, doch ohne Vorbereitung und Planung verlaufen Krisen chaotisch und planlos. Mit diesen fünf wichtigen Maßnahmen kommen Sie in einer Krise schneller „vor die Lage“ und schützen das Vertrauen ihrer Kunden.
- Share- und Stakeholder identifizieren („interested parties“)
- Wer muss in einem Notfall informiert werden? (Kunden, Behörden, Lieferanten, Anlieger, Öffentlichkeit etc.)
- Mit welcher Priorität und welchen Inhalten müssen die Kommunikationspartner informiert werden?
- Gibt es gesetzliche, regulatorische oder vertragliche Informations- und Meldepflichten?
- Kunden- und Auftragsklassifizierung und -priorisierung durchführen
- Welche Kunden werden mit welcher Priorität und welchen Inhalten informiert?
- Welche Kundenaufträge haben Priorität (zum Beispiel wegen Vertragsstrafen oder Bedeutung des Kunden)?
- Festlegungen treffen, wer mit wem was und wie kommuniziert und diese dokumentieren
- Wer kommuniziert mit wem?
- Rolle von Geschäftsleitung, Pressestelle, Key Account Manager, Kunden-Hotline
- Kommunikationskanäle definieren: Persönlich, E-Mail, Webseite
- Sprachregelungen für Szenarien vorbereiten
- Sprachregelungen und Textkonserven für relevante Szenarien vorbereiten
- Üben, üben, üben
- Durchführung von Schulungen und Trainings für die verantwortlichen Rollenträger
- Simulation von Szenarien
- Lessons learned: ständige Optimierung auf Basis der Trainings und Praxiserfahrungen.
Fazit:
Lieferunterunterbrechungen können abrupt ein über Jahre aufgebautes Vertrauensverhältnis zu den Kunden zerstören und damit zu gravierenden Schäden an der Reputation des Unternehmens führen. Die Folgen eines Imageschadens können mittel- und langfristig die direkten Schadensfolgen weit übersteigen und die Existenz eines Unternehmens gefährden. Ein Krisenmanagement mit einer gut geplanten Krisenkommunikation sollte daher – wie gut gewartete Produktionsanlagen – zur Grundausstattung eines Unternehmens gehören. Es wäre doch schön, wenn die Kunden Sie nach einer Lieferstörung für das gute Krisenmanagement und die gute Kommunikation loben, statt sich nach einem anderen Lieferanten umzusehen.
Matthias Hämmerle, Geschäftsführer von haemmerle-consulting, ist ein erfahrerener und anerkannter Experte für Business Continuity und Informationssicherheitsmanagement. Seine Erfahrungen sammelte der studierte Wirtschaftswissenschaftler sowohl im finanzsektor als auch bei Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Seine Kompetenz im BCM wurde vom Busienss Continuity Institute durch die Verleihung des Member-status dokumentiert. Er ist Lead Auditor ISO 22301 und als Dozent für den Themenberiche BCM an der Frankfurt School of Finance & Management tätig. er ist Herausgeber der BCM-News, dem führenden deutschsprachigen Informationsportal für BCM.