Im Dezember 2019 trat die EU-Direktive 2019/1937 zum Schutz von Hinweisgebern in Kraft und sollte von den Mitgliedstaaten der EU bis Dezember 2021 in nationales Recht überführt werden. Nachdem diese Umwandlung in deutsches Recht von der Bundesregierung vertagt wurde, liegt seit 13. April 2022 ein Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) vor. Dieser soll den bislang lückenhaften und unzureichenden Schutz von hinweisgebenden Personen ausbauen und die EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzen.
Wie zu erwarten war, sorgt der Entwurf für einigen Wirbel. In den vier Wochen nach Veröffentlichung gab es bereits knapp 50 Stellungnahmen von Privatpersonen oder Vertreten ganz unterschiedlicher Organisationen und Meinungsrichtungen. Neben Verbänden, die bestimmte Berufsgruppen vertreten, wie bspw. der Bund deutscher Kriminalbeamter, die Bundesrechtsanwaltskammer oder der Verband für Fach- und Führungskräfte haben sich ebenso Branchenverbände z.B. aus dem Pharma-, Reise-, Verkehrs- oder Bankensektor zu Wort gemeldet. Auch kommunale und gemeinnützige Organisationen nahmen Stellung zu dem vorliegenden Entwurf und nicht zuletzt natürlich Datenschutz- und Compliance-Vereinigungen wie das Europian Center for Whistlebower Rights, das Whistleblower-Netzwerk, der Berufsverband der Datenschutzbeauftragten Deutschlands oder Transparency International.
Alle Organisationen begrüßen in einem ersten Schritt die Etablierung eines Schutzes für Hinweisgeber, befürchten zum Teil aber einen erheblichen Aufwand bei der Einführung eines regelkonformen Hinweisgebersystems: Der Referentenentwurf nennt Kosten rund 200,9 Millionen Euro für die Wirtschaft, Schätzungen von anderen Instituten sehen jedoch deutlich höhere Ausgaben auf die Unternehmen zukommen.
Dabei haben die einzelnen Regelungen für die verschiedenen Parteien gemäß ihren Satzungen und Zielen natürlich eine völlig unterschiedliche Bedeutung, so dass die Vorgaben der Richtlinie sehr kontrovers bewertet werden.
Insbesondere die folgenden Punkte des HinSchG-E sorgen für viel Diskussion:
1. Keine Priorisierung des internen Meldekanals
Im Gegensatz zur EU-Direktive fordert der deutsche Entwurf keine ausdrückliche Priorisierung des internen Meldekanals gegenüber einer externen Meldung. Ein Punkt, der bspw. vom Whistleblower-Netzwerk ausdrücklich begrüßt wird, andere Vereinigungen sehen dies kritisch oder fordern eine differenziertere Ausgestaltung. So schlägt bspw. das Deutsche Institut für Compliance vor, einen mehrstufigen Prozess zu etablieren, der zuerst den internen Kanal, dann eine externe Meldestelle und zuletzt die Offenlegung in der Öffentlichkeit vorsieht.
2. Ausweitung des Geltungsbereichs auch auf straf- oder bußgeldbewerte Handlungen
In diesem Punkt gehen die Meinungen extrem auseinander. Der Entwurf sieht aktuell vor, dass nicht nur – wie von der EU-Richtlinie gefordert – Verstöße gegen Unionsrecht geahndet werden sollen, sondern auch Rechtsverstöße, die in Deutschland strafrechtlich oder mit einem Bußgeld belangt werden. Diese Erweiterung der EU-Direktive geht den einen nicht weit genug, für andere Organisationen aber schon zu weit. Insbesondere unter Berufung auf den Rechtsstreit Heinisch/BRD aus 2011, in dem die Klägerin schwere Pflegemängel offen gelegt hat, erscheint vielen Stellungnehmenden die Auslegung aber doch zu eng. Denn in diesem Rechtsstreit wurde auf ethisch zu missbilligende Missstände hingewiesen, die aber gegen kein Gesetz verstoßen. Eine solche Meldung wäre dann durch das neue HinSchG nicht abgedeckt.
3. Anonymität der Hinweisgeber bei der Meldung
Der Referentenentwurf sieht vor, dass Unternehmen nicht verpflichtet sind, grundsätzlich die Abgabe anonymer Meldungen zu ermöglichen. Hier ist sich die überwiegende Mehrheit der Stellungnehmenden einig, dass dies an der Praxis vorbei geht und hinweisgebende Personen, unabhängig von ihrem Anspruch auf Schutzmaßnahmen, nur dann bereit sind, Hinweise zu melden, wenn dies in einer anonymisierten Form möglich ist. Um die Hemmschwelle für entsprechende Meldungen zu senken, wird daher fast einstimmig eine Implementierung anonymer Meldemöglichkeiten gefordert.
4. Aufhebung der Anonymität von Hinweisgebern
Ob und in welchem Fall und gegenüber welchen Personen die Anonymität des Hinweisgebers aufgehoben werden darf, ist stark umstritten. Einer besseren und umfassenderen Bearbeitung des Hinweises und Aufklärung des Sachverhalts auf der einen Seite stehen die Interessen und Befürchtungen der Hinweisgeber auf der anderen Seite gegenüber. Gefordert wird, dass die Hinweisgeber zumindest in einer Rückmeldung noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden müssen, dass ihre Anonymität unter bestimmten Umständen aufgehoben werden kann.
5. Umkehr der Beweislast bei Repressalien gegenüber den Meldenden
Die meisten Stellungnahmen befürworten die Beweislastumkehr, stellt sie doch eine große Erleichterung für die Meldenden dar. Demnach muss die Arbeitgeberseite belegen, dass ggf. eine Kündigung oder Abmahnung in keinerlei Zusammenhang mit einer Meldung von Missständen steht. Auch hier wird zum Teil eine Konkretisierung der Regelung des HinSchG gefordert und andererseits ein erheblicher Aufwand für die Arbeitgeber befürchtet.
6. Einrichtung einer zentralen konzernweiten Meldestelle
Für die einen ist die Einrichtung einer zentralen, konzernweiten Meldestelle absolut notwendig, mit dem Gesetz und der Richtlinie vereinbar und vor allem auch aus Sicht der Hinweisgeber absolut vorteilhaft. Die anderen sehen hier einen Verstoß gegen die Richtlinie und fordern dezentrale Meldemöglichkeiten.
7. Festlegung der Aufbewahrungsfrist
Einige Stellungnahmen fordern, die Regelungen der Aufbewahrungsfrist zu konkretisieren bzw. diese mit sonstigen Verjährungsfristen und Vorgaben zur Aufbewahrung in Einklang zu bringen. Eine pauschale Aufbewahrungspflicht von 2 Jahren wird von vielen als nicht ausreichend erachtet und auch die Formulierung, Unterlagen seien bis zum „Abschluss des Verfahrens“ aufzubewahren, bedarf wohl der weiteren Erläuterung. Dabei sollte insbesondere auch geprüft werden, ob die Regelung mit den Vorgaben der DSGVO vereinbar ist.
Unabhängig von den unterschiedlichen Punkten und deren Bedeutung für einzelne Unternehmen und Organisationen, fordert der Bitkom die Durchführung einer Datenschutz-Folgeabschätzung bereits im Gesetzgebungsverfahren. Dies könnte ähnlich wie bei der Einführung des Patienten-Datenschutzgesetzes erfolgen und würde den Unternehmen eine größere Rechtssicherheit geben sowie die Kosten für die Implementierung des Hinweisgebersystems deutlich reduzieren.
Fazit:
Das Interesse an einem Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen ist sehr groß, die Auswirkungen auf Arbeitgeber in allen Branchen immens. Es bleibt abzuwarten, welche Änderungen und Anregungen der unterschiedlichen Interessensgemeinschaften noch aufgenommen werden, bevor der Referentenentwurf letztendlich in gültiges Recht umgewandelt wird.