Ausgangssituation
Notfälle und Krisen haben leider die negative Eigenschaft, gerade zu Beginn chaotisch und unübersichtlich zu sein. “Vor die Lage” kommen, heißt daher eine der zentralen Leitlinien professioneller Krisenstabsorganisationen in Sicherheitsbehörden. Dies bedeutet in erster Linie “Erkundung” und “Lagedarstellung”. Auf Basis dieser Fakten erfolgt danach die Beurteilung der Lage und die Entwicklung des Aktionsplans.
Bei der “Erkundung” und “Lagedarstellung” gilt es Fakten zu sammeln und diese für die Beteiligten und vor allem die Entscheidungsträger übersichtlich und kompakt aufzubereiten und zu visualisieren. Hierbei ist es wichtig, Fakten von Annahmen zu trennen. Was sich in “Friedenszeiten” als logisch und einfach anmutet, erweist sich in Trainings und Übungen als eine der zentralen Herausforderungen. “Fakten, Fakten, Fakten”, nichts als Fakten muss in Krisenstabsübungen oftmals besonders eingeübt werden, wenn sich Annahmen, Vermutungen, Befürchtungen und Erwartungen mit den realen Fakten mischen. Sind IT-Systeme von Hackern übernommen worden oder liegt “nur” ein Drohschreiben vor? Falsche Fakten führen zu falschen Reaktionen, die die Lage verschlimmern statt zu verbessern.
Anforderungen
Im Januar 2019 wurde vom Deutschen Institut für Normung e.V. (DIN) die Vornorm DIN CEN/TS 17091 für das Krisenmanagement – Strategische Grundsätze in einer deutschen Fassung veröffentlicht. Die Vornorm beschreibt auf 44 Seiten die Ausgestaltung eines Krisenmanagements mit den Grundlagen, dem Aufbau einer Krisenmanagementfähigkeit, Führung in einer Krise, Strategisches Entscheiden in einer Krise, Kommunikation in einer Krise sowie Soziale Medien.
Im Punkt “Informationsmanagement und Lagebewusstsein” als Teilbereich des Kapitels “Aufbau einer Krisenmanagementfähigkeit” beschreibt die Norm die Anforderungen zum Umgang mit der Unsicherheit in Krisen.
Eine Organisation sollte als Reaktion in einer Krise in der Lage sein
- die relevanten Informationen zur Krise zu identifizieren und zu sammeln;
- diese Informationen in Abhängigkeit von der Qualität und der Bedeutung für die Krise zu bewerten;
- diese Informationen zu filtern, zu analysieren und zu verstehen;
- diese Informationen innerhalb der Organisation zu kommunizieren und, soweit erforderlich, auch extern;
- die Informationen rechtzeitig und in geeigneter Form den Entscheidern darzustellen und
- den Schutz vertraulicher oder marktsensibler Daten zu berücksichtigen.
Um ein gemeinsames Lagebewusstein zu entwickeln, sollte die Organisation ein gemeinsames Verständnis von dem haben, was vor sich geht, und sowie den möglichen Auswirkungen, demas Ausmaß an Unsicherheit, demn Grad der Beherrschung, die Lage verschärfende Aspekte und was in Zukunft geschehen könnte haben.

Die Amerikaner beschreiben die Darstellung der wichtigen Informationen in einem Lagebild mit dem Begriff Common Operational Picture (COP). Im militärischen Umfeld handelt es sich hierbei häufig um eine Landkarte mit den Stärken und Standorten eigener und feindlicher Truppen. Das Konstrukt “Situational Awareness” – Lagebewusstsein geht noch weiter, indem die Beteiligten die Situation zutreffend wahrnehmen, die Bedeutung verstehen und einschätzen können. Grundlage hierfür sind Fähigkeiten zur Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Common Operation Picture und Situational Awareness bilden damit die beiden Grundvoraussetzungen für die Vermeidung von Fehlern beim Treffen von Entscheidungen in Krisen.
Im Crew Ressource Management, das aufgrund folgenschwerer Flugzeugunglücke in den 70er Jahren zur Reduktion von Fehlern von Flugzeug-Crews unter Leitung der NASA entwickelt wurde, steht die Ausbildung dieser Fähigkeiten im Mittelpunkt.
Informationsmanagement und Lagevisualisierung in Sicherheitsorganisationen
Militär und Sicherheitsorganisationen wie Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienste sehen sich schon immer vor die Herausforderung gestellt, unterschiedliche Lagen zu analysieren und zu visualisieren, um auf dieser Basis Entscheidungen treffen zu können. Hierzu haben sich Standards, Vorschriften und Good Practices herausgebildet, die Verfahren und Organisation von Einsätzen regeln. Die Feuerwehr-Dienstvorschrift 100 FwDV 100 “Führung und Leitung im Einsatz – Führungssystem” definiert Aufgaben, Gliederung und Zusammensetzung von operativ-taktischen Stäben. Stäbe werden in Sachgebiete gegliedert, die jeweils einzelne Themengebiete verantworten. Jeder Feuerwehrmann – und -frau kennt die Sachgebiete mit den jeweiligen Kernaufgaben. Die Sachgebiete unterstützen die Einsatzleitung und werden jeweils durch Stabsleiter geführt.
S1 – Personal; Innerer Dienst:
Alarmierung von Einsatzkräften, Einrichtung von Bereitstellungsräumen; Führen von Kräfteübersichten; Führung des inneren Stabsdienstes
S2 – Lage:
Einholung und Auswertung von Lageinformationen; Lagedarstellung (Lagekarte, Zustandsanzeige); Unterrichtung der Öffentlichkeit und anderer Stellen; Führung des Einsatztagebuchs
S3 – Einsatz:
Einsatzplanung mit Beurteilung und Entschluss; Festlegung der Führungsorganisation und der Ordnung des Raumes (Einsatzabschnittsgrenzen, Bereitstellungsräume); Definition von Einsatzschwerpunkten; Erteilung der Befehle
S4 – Versorgung:
Bereitstellung von Verpflegung für die Einsatzkräfte, Kraftstoffen, Löschmitteln; Festlegung der Versorgungsorganisation; Bereitstellung von Rettungsmitteln zum Eigenschutz der Einsatzkräften
S5 – Presse und Medienarbeit:
Auswertung der Presse- und Medienlage; Erstellung von Presse- und Medieninformationen; Betreuung von Presse- und Medienvertretern; Vorbereitung und Durchführung von Presse- und Medienkonferenzen
S6 – Informations- und Kommunikationswesen:
Festlegung der Fernmeldeorganisation; Erarbeitung eines Kommunikationskonzeptes; Übermitteln von Befehlen, Meldungen und Informationen.
Auch für die Lagedarstellung haben sich bewährte Verfahren und Darstellungsmittel herausgebildet. Hierzu zählen vorgefertigte Übersichten und Checklisten. Gerade bei Feuerwehren ist der erste eintreffende Einheitsführer auch erster Einsatzleiter. Die ersten Aufzeichnungen erfolgen häufig mobil. Ein Klemmbrett mit Übersichten und Checklisten sowie Schreibmaterial in einer Umhängetasche, um die Hände frei zu haben, ist für diese erste Einsatzphase optimal. Der Einsatzleiter wird so schnell als möglich eine stationäre Einsatzleitung einrichten, wo alle Informationen zusammenlaufen und die Lage übersichtlich dargestellt wird. Die Herausforderung liegt in der der Darstellung vieler Informationen auf einer kleinen Fläche.
Da die Lagedarstellung vor Ort auch ohne Stromversorgung und ggf. im Freien möglich sein muss, haben sich Magnettafeln für die Lagebilddarstellung bewährt. Für die Darstellung von Kräften und Einsatzmitteln gibt es standardisierte magnethaftende Symbole. Mittels Magnete können weitere Informationen an der Magnetwand befestigt werden. Neben diesen transportablen oder in Einsatzfahrzeugen fest montierten Magnetwänden dienen Pläne und Karten (Gebäudepläne, Landkarten, Rohrnetzpläne etc.) zur Lagedarstellung. Diese sind laminiert bzw. kaschiert oder werden im Einsatz mit Laminierfolie beklebt, um Lagen aufzeichnen zu können sowie zum Schutz vor Nässe und Verschmutzung. Zum Beschreiben laminierter Karten sind spezielle Stifte erforderlich wie auch Reinigungsmittel zum Löschen.
Das Lagebild bestehend aus der Magnetwand und den Karten. Es ist Grundlage für die Information und Kommunikation. Für das Führen des Lagebilds ist mindestens ein Mitarbeiter abgestellt, da dies neben der Führungsarbeit nicht leistbar ist.
In Krisenstäben, die ausschließlich stationär arbeiten (Bsp. Krisenstäbe der Polizei, Behörden etc.) kommt neben den traditionellen analogen und damit stromlosen Darstellungstechniken häufig spezielle Krisenmanagementsoftware zum Einsatz. Diese ermöglicht eine digitale Darstellung, elektronische Kommunikation und viele andere technische Funktionen. Zumindest als Rückfallebene sind diese Krisenstäbe aber auch zum Beispiel bei einem Stromausfall in der Lage auf analoger Basis weiter zu arbeiten.
Informationsmanagement und Lagevisualisierung in Unternehmenskrisenstäben
Krisenstäbe in Unternehmen haben gleich mehrere Herausforderungen gleichzeitig zu bewältigen.
- Es fehlt die Übung im Umgang mit Lagen. Im besten Fall wird einmal im Jahr eine halbtägige Krisenstabsübung durchgeführt. Durch die Mehrfachbesetzung der Rollen ist nicht jeder Mitarbeiter regelmäßig ain Übungen beteiligt.
- Es fehlen Mitarbeiter mit dem persönlichen und fachlichen Know How in der Krisenbewältigung. Es macht sich dann bezahlt, wenn Mitarbeiter neben ihrer Tätigkeit noch in der freiwilligen Feuerwehr, THW, DLRG oder anderen Organisationen ehrenamtlich tätig sind und dort Erfahrung in Einsätzen sammeln konnten.
- Die benötigte Ausstattung für das operative Krisenmanagement ist nicht vorhanden oder nicht geeignet. Das vorbereitete Material in der “Battle-Box” hat “Füße bekommen” oder ist überlagert. Wer kennt sich im entscheidenden Moment mit der Bedienung der neuen Videokonferenzanlage aus?
- Formulare und Checklisten sind erstellt, aber die Mitarbeiter können mangels Übung damit nicht umgehen.
- Informations- und Kommunikationskanäle (Bsp. E-Mail-Adressen für die Stabsfunktionen, Kontaktdaten) sind nicht eingerichtet, nicht bekannt oder veraltet.
- Schichtwechsel mit einer nahtlosen Übergabe sind nicht geübt.
Die Liste lässt sich noch beliebig fortführen. Bestimmt fallen Ihnen noch Punkte aus der letzten Übung ein.
Hier soll noch auf einen wichtigen Unterschied zu den zuvor beschriebenen professionellen Krisenstabsorganisationen eingegangen werden, der das Krisenmanagement in Unternehmen vor besondere Herausforderungen stellt.
Feuerwehren haben es bei der Lagedarstellung mit physischen Objekten (Gebäude, Fahrzeuge, Behältnisse, Leitungen etc.) zu tun. Diese lassen sich gut symbolhaft und leicht verständlich darstellen. Trotzdem ist und bleibt die Lagedarstellung auch für professionelle Krisenstäbe und Einsatzleitungen eine ständige Herausforderung.

Unternehmen haben es in Krisenfällen selten nur mit rein physischen Objekten zu tun. Die Lage besteht aus Unternehmen und Organisationen (Dienstleister, Kunden, Behörden etc.), IT& Telekommunikation (Netzwerk, IT-Systemen und IT-Anwendungen, Internet & Telefonie), Geschäftsprozessen, Produkten und Services, Öffentlichkeit, Presse und Soziale Medien. Dies stellt eine ganz besondere Herausforderung für eine einfache und übersichtliche Lagedarstellung auf einer verständlichen Sachebene dar. Die klassischen Lagebilder von Einsatzkräften für physische Lagen sind für diese virtuellen Sachverhalte nicht direkt geeignet.
Um Unternehmen dennoch ein Handwerkszeug für die Erstellung von Lagebildern an die Hand zu geben, haben sich Matthias Hämmerle und Cornelius Herold an die Arbeit gemacht und eine für Unternehmen angepasste Lagebildmethodik entwickelt. Diese basiert auf bewährten und robusten Techniken und erweitert diese für die Darstellung von Sachverhalten im Unternehmensumfeld. Mit eingeflossen sind Darstellungstechniken aus dem Projektmanagement (Bsp. Canvas) und der Softwareentwicklung (Scrum).
Grundlage der Darstellung ist eine rollbare magnetische Whiteboardfolie. Mit den Maßen 1,20 auf 1,20 Meter ist diese im gerollten Zustand leicht transportierbar. Das Whiteboard ist in Felder eingeteilt für Ursachen und deren internen sowie externen Wirkungen. Die Lage wird mittels spezieller magnetischer Moderationskarten dargestellt. Für Ursachen und Wirkungen gibt es spezifische Karten. Die Karten sind kaschiert und können mit dafür vorgesehenen Stiften beschrieben werden. Karten gibt es für IT, Personal, Geschäftsprozesse, Gebäude und Lokationen, Kunden, Produkte & Services, Medien, Öffentlichkeit und Regulatorik. Mit Hilfe einer Ampeldarstellung kann schnell der aktuelle Zustand visualisiert werden. Auf den Karten wird die aktuelle Lage für die jeweilige Lage Situation kurz beschrieben. Die Karten können auf der magnetischen Whiteboardfolie so angeordnet werden, dass Abhängigkeiten dargestellt werden können. Sowohl Karten als auch Whiteboard sind wiederbeschreibbar, so dass Lageänderungen direkt eingearbeitet werden können.
Das Whiteboard wird im Lagezentrum vom Visualisierer erstellt und aktualisiert. Es dient dem Krisenstab zur Information über die aktuelle Lage als Basis für Lagebewertung und Entscheidungen. Das Lagebild gibt zudem der Unternehmensführung und, falls notwendig, auch weiteren Beteiligten jederzeit einen guten Überblick über die Lage. Neben diesem Whiteboard dienen kaschierte FOR-DEC-Flipcharts und Land- sowie Gebäudepläne der Lagevisualisierung. Die Werkzeuge für diese Visualisierungstechnik finden in einem handlichen robusten Koffer Platz, den haemmerle-consulting speziell für diesen Zweck ausgestattet hat.

Matthias Hämmerle unterstützt Unternehmen bei der Implementierung von Notfall-, Krisen- und Business Continuity Management. Als Leiter BCM und Krisenmanagement in einem Finanzdienstleistungsinstitut hat er Erfahrungen in nationalen und internationalen Krisensituationen gesammelt. Gemeinsam mit Cornelius Herold trainiert er Krisen- und Unterstützungsstäbe und entwickelt Methoden und Vorgehensweisen speziell für nicht-professionelle Stäbe in Unternehmen.

Cornelius Herold ist ehrenamtlicher Fachberater für Krisenstäbe und bringt Erfahrungen aus internationalen Lagen mit für die ein zweckmäßiges Lagebild entscheidend zum guten Ausgang der Situation beigetragen hat. Als Unternehmensberater unterstützt Cornelius Herold Unternehmen bei der Implementierung von Notfall-, Krisen- und Business Continuity Management.
haemmerle-consulting bietet in Zusammenarbeit mit Cornelius Herold spezielle Trainings für Unterstützungsstäbe an. Die vorgestellte Visualisierungstechnik ist Teil dieses zweitägigen Trainings. Die Teilnehmer lernen in praktischen Übungen die Lagevisualisierungstechnik kennen. Es ist erfreulich, wie schnell die Teilnehmer sich in der Methodik zurechtfinden, obwohl sie zuvor keine Berührungspunkte mit der Krisenstabs- und Unterstützungsarbeit hatten.