Nach Ostern legt sich langsam die jährliche Grippewelle, die seit Jahresbeginn über das Land hinweggezogen ist und zeitweise für massive Behinderungen durch krankheitsbedingte Ausfälle geführt hat. Insbesondere der Osten und Süden Deutschlands waren von der Grippewelle besonders betroffen, wie die Fallzahlen der Arbeitsgemeinschaft Influenza (https://influenza.rki.de) zeigen. Dabei weisen die offiziellen Statistiken mit fast 50.000 gemeldeten Fällen in nur einer Woche nur einen Teil der tatsächlichen Erkrankungsrate aus, da die Statistik nur Infektionen beinhaltet, die im Labor zweifelsfrei nachgewiesen wurden. Viele Arztpraxen verzichten jedoch auf einen Test, daher ist die Dunkelziffer der tatsächlich Erkrankten deutlich höher als der offizielle statistische Wert.
Die jährliche Grippesaison beginnt immer zu Jahresende und hält dann drei bis vier Monate an. Seit der 12. Kalenderwoche sinkt die Zahl der Erkrankten in diesem Jahr wieder deutlich (https://grippeweb.rki.de/). Viele Organisationen und Unternehmen hat die Grippewelle dieses Jahr überdurchschnittlich hart getroffen. Im Februar 2018 haben sich so viele Beschäftigte krankgemeldet wie seit zehn Jahren nicht. Laut einer Statistik der Betriebskrankenkassen (BKK) lag der Krankenstand (Anteil der Krankgemeldeten an allen Beschäftigten) im Februar bei 6,2 Prozent. Jeder dritte Arbeitnehmer davon fiel aufgrund eines grippalen Infekts aus. Bei den betroffenen Berufsgruppen gab es große Unterschiede. Besonders hohe Infektionsraten hatten Arbeitnehmer in sozialen Berufen, bei denen viele Menschen aufeinandertreffen und somit ein hohes Ansteckungsrisiko besteht. Zu diesen Berufsgruppen zählen Berufe in der Erziehung, im Gesundheitswesen sowie bei Polizei, und Sicherheitsdiensten. Auch überdurchschnittlich viele Busfahrer, Lokführer und Postzusteller mussten krankheitsbedingt der Arbeit fernbleiben. Wenig betroffen waren Mitarbeiter in der IT. Diese Kollegen schlagen sich dafür tagtäglich mit anderen Viren herum und haben dadurch vielleicht eine Resistenz entwickelt…
Gerade Krankenhäuser werden durch die Krankheitswellen in starke Bedrängnis gebracht: auf der einen Seite steigt die Zahl der zu behandelnden Patienten in kurzer Zeit stark an, während die Zahl der verfügbaren Ärzte und Pfleger krankheitsbedingt stark reduziert ist. Dies führte bei einigen Kliniken zu massiven Einschränkungen des Krankenhausbetriebs. Operationssäle mussten geschlossen und Operationen verschoben werden, die Aufnahme von Patienten wurde auf absolute Notfälle beschränkt und Behandlungskapazitäten zwischen den Kliniken koordiniert. Rettungssanitäter durften zum Teil wegen des hohen Ansteckungsrisikos nur noch mit Mundschutz arbeiten.
Im Bus- und Bahnverkehr führte der hohe Krankenstand bei den Lokführern zu Ausfällen von Bus- und Zugverbindungen. Der Krankenstand bei Fahrern von Bussen und Bahnen war doppelt so hoch wie üblich. Die Deutsche Bundesbahn musste die Wartung ihres Zugmaterials wegen Personalmangels einschränken und Bordrestaurants in den Zügen schließen. Mitarbeiter aus der Verwaltung mit Eisenbahnerlizenz wurden auf Zügen eingesetzt, um ausgefallene Lokführer zu ersetzen. ICE wurden durch IC ersetzt und Personal aus dem Urlaub zurückgerufen. Mit Hilfe dieser Maßnahmen konnte die Bahn immerhin nach eigenen Angaben 99 Prozent der Zugverbindungen zur Verfügung stellen.
Auch mein kleiner Betrieb war durch die Grippewelle betroffen. Ein Dienstleister für den Druck von Flipcharts konnte einen Eilauftrag wegen Personalausfalls nicht ausführen. Leider habe ich dies erst auf Nachfragen beim Dienstleister erfahren. “Wir sind völlig unvorbereitet von der Krankheitswelle getroffen und müssen hier dringend Vorsorgemaßnahmen treffen” war die ehrliche Antwort auf meine Nachfrage nach der ausgefallenen Eil-Auslieferung. Leider trifft diese fehlende Vorbereitung auf viele Unternehmen zu. Die Bahn hat aus vielen Ereignissen in der Vergangenheit, wie zum Beispiel dem öffentlichkeitswirksamen Fahrdienstleitermangel im Stellwerk Mainz 2013, gelernt und entsprechende Notfallkonzepte entwickelt. Viele Unternehmen trifft ein Personalausfall jedoch völlig unvorbereitet. Ausgefallene Services und Lieferungen, verärgerte Kunden und Einnahmeverluste sind dann die Folge. Bei meiner kleinen und eigentlich sehr professionellen Druckerei hätte es für mich schon einen großen Unterschied gemacht, frühzeitig und aktiv über die Lieferschwierigkeiten informiert zu werden. Leider ist diese wichtige Kundenkommunikation zur Schadensbegrenzung im Personalnotstand untergegangen.
Dabei ist es gar nicht so schwer, sich auf eine solche Situation vorzubereiten. Der Ausfall von Personal ist eines der vier klassischen BCM-Szenarien neben dem Ausfall von Gebäuden, IT / Technik und Dienstleistern.
Im BCM wird hierbei nicht für einzelne Ursachenszenarien geplant (Bsp. Grippe, Epidemie oder Pandemie) sondern für die Auswirkungen eines Personalausfalls (der sogenannte “All-hazard Approach”). Die Konzepte und Pläne sollen für die verschiedenen Ursachen wirksam sein, die zu einem Personalausfall führen können.
Im Rahmen der Business Impact Analyse “BIA” (Auswirkungsanalyse) wird zunächst identifiziert, welche Geschäftsprozesse im Notfall mit hoher Priorität wieder verfügbar sein müssen, um massive Schäden für das Unternehmen abzuwenden. Für diese zeitkritischen Geschäftsprozesse wird analysiert, welche Ressourcen erforderlich sind, um diese in einem Notbetrieb aufrecht zu erhalten. Neben IT / Technik, Gebäude / Arbeitsplätze und Dienstleister zählt das Personal zu den elementaren Ressourcen vieler Geschäftsprozesse zur Produktion oder Erbringung der Kundendienstleistungen. Im Rahmen einer Business Impact Analyse wird identifiziert, welche Prozesse über welche Mindestausstattung an Personal verfügen müssen, um die für das Unternehmen kritischen Leistungen erbringen zu können. Hierbei ist neben der notwendigen Mitarbeiterkapazität auf zwingend erforderliche Spezial-Kenntnisse, Berechtigungen und Kompetenzen zu achten. So muss beispielsweise der im Notfall aus dem Verwaltungsbereich eingesetzte Pilot über eine gültige Fluglizenz für das eingesetzte Flugzeugmuster, Flugtauglichkeitsnachweise und Flugerfahrung besitzen, damit er im Notfall auch tatsächlich eingesetzt werden kann.
An die Business Impact Analyse schließt sich die Erstellung der Notfallkonzepte an. Welche Optionen stehen bei einem Personalausfall in einem kritischen Prozess zur Verfügung? Die Konzeptionsphase ist der kreative Part im Business Continuity Management und “Denken über den Tellerrand” dringend erwünscht. Neben dem Einsatz von Mitarbeitern aus anderen Bereichen des Unternehmens in den kritischen Prozessen werden Zusammenarbeitsmodelle mit Verbundpartnern, Dienstleistern, Lieferanten und gar Mitbewerbern als Option häufig zu wenig betrachtet. Gerade bei Mitarbeitern mit Spezial Know How sind die verfügbaren Optionen innerhalb eines Unternehmens häufig nicht ausreichend. Kooperationsmodelle schaffen zudem eine “win-win”-Situation für alle beteiligten Parteien. Die Investition in eine unternehmensübergreifende Konzeption und Planung macht sich schnell für alle Beteiligten bezahlt.
Diese unternehmensübergreifende Zusammenarbeit bei Personalausfällen kann zum Beispiel über die Lieferketten erfolgen, die bereits heute sehr tief zwischen Lieferanten und Abnehmern verzahnt sind. Zusätzliche interne Prozesse und Aufgaben können auf Dienstleister und Lieferanten übertragen werden, um die eigenen Personalkapazitäten zu entlasten. Aber auch Unternehmen, die in der gleichen Branche tätig sind und standardisierte Prozesse mit der gleichen Software durchführen, sind in der Lage, sich gegenseitig auszuhelfen. Dies trifft beispielsweise auf viele Banken, Sparkassen und Versicherungen zu. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen mit dünner Personaldecke sollten alle verfügbaren Optionen bei der Notfallvorsorge in Betracht ziehen.
In der anschließenden Planungsphase werden aus den Konzepten konkrete Notfallpläne und -checklisten entwickelt. Wer muss was mit welcher Priorität mit wem machen? Checklisten mit Kontaktlisten führen die Beteiligten durch den Notfall. Mehrere hundert Seiten starke Notfallhandbücher mögen auf den ersten Blick “Eindruck schinden”, sind aber in einem Notfall nicht praktikabel und reine “Schrankware.”
Pläne und Checklisten sind auch die Grundlage für Tests und Übungen. Gerade das Szenario “Personalausfall” wird bei den Tests und Übungen gerne ausgelassen. Dabei kann die nächste Grippewelle im Kalender schon vermerkt werden. Es muss nicht gleich die “Krankheit X” sein, die die Weltgesundheitsorganisation stellvertretend für einen noch unbekannten Erreger einer globalen Pandemie gerade benannt hat.
Matthias Hämmerle MBCI, Geschäftsführer von haemmerle-consulting, ist ein erfahrerener und anerkannter Experte für Business Continuity und Informationssicherheitsmanagement. Seine Erfahrungen sammelte der studierte Wirtschafts-wissenschaftler sowohl im Finanzsektor als auch bei Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Er ist Lead Auditor ISO 22301, als Dozent für den Themenberiche BCM an der Frankfurt School of Finance & Management tätig und Herausgeber der BCM-News, dem führenden deutschsprachigen Informationsportal für BCM.