Wirkungsvolle Notfallpläne und -checklisten auf Basis einfacher Prinzipien erstellen
In der Luftfahrt kann die richtige Reaktion auf Störungen über Leben und Tod der Besatzung und Passagiere entscheiden. Piloten folgen daher einfachen und klaren Regeln, um kritische Situationen bewältigen zu können. Eine dieser einfachen aber wirkungsvollen Regeln lautet: “Aviate, Navigate, Communicate”. Diese Regel gibt der Crew klare Prioritäten und Abfolgen für ihr Handeln in Notfällen vor.
Für Organisationen lässt sich diese Regel sehr gut auf die Bewältigung von Störungen, Notfällen und Krisen übertragen, auch wenn es nicht um Leben oder Tod geht.
Aviate
Eine Ursache für Katastrophen in der Luftfahrt nach kleineren Störungen ist das Problem der “Fixierung”. Nach einer Störungsmeldung im Cockpit konzentriert sich die Crew vollständig auf die Bewältigung des Problems. Die Steuerung des Luftfahrzeugs gerät hierbei aus dem Fokus. Pilot und Co-Pilot sind so auf das Problem fixiert, dass das Flugzeug außer Kontrolle gerät und im schlimmsten Fall abstürzt oder mit einem Hindernis kollidiert.
Haben Sie dieses Phänomen der Fixierung nicht schon einmal auch im Geschäftsleben beobachtet? Mitarbeiter, Führungskräfte, Geschäftsführer, Vorstände kümmern sich alle intensiv um die eingetretene Störung. Dabei gerät die eigentliche Produkt- und Serviceerstellung völlig aus dem Auge. Ist das Problem schließlich behoben, wundern sich die Beteiligten über all die neuen Probleme, die in der Zwischenzeit aus dieser Fixierung hieraus entstanden sind. In der Fliegerei hat sich hier die eindeutige Zuweisung von Aufgaben und Verantwortlichen bewährt. Es gibt den Pilot Flying (PF), der verantwortlich für die Steuerung des Flugzeugs ist, während der Pilot Not Flying für Navigation, Funk, Wetter, Checklisten etc. zuständig ist.
Übertragen auf “Flughöhe Null” bedeutet dies, dass in Notfallplänen – ich bevorzuge Checklisten wie in der Fliegerei – klare Verantwortlichkeiten für die Aufgaben bei Eintritt eines Notfalls geregelt sind. Dies betrifft vor allem die Rollen und Verantwortlichkeiten im Alarmierungs- und Eskalationsverfahren, die Durchführung von Sofortmaßnahmen zur Schadensminimierung und die Auslösung von Notfallplänen. Die Fixierung wird so vermieden, da jede Rolle weiß, wofür sie zuständig ist – und wofür nicht.

Navigate
Die zweite Priorität nach der aktiven Steuerung des Luftfahrzeugs ist die Navigation. Es wäre fatal, wenn das Flugzeug während der Behebung eines kleineren technischen Problems gegen einen Berg fliegen würde. Daher muss der Pilot den Luftraum und das Gelände beobachten, Kurs halten und sich über die Lage der Maschine ständig bewusst sein.
Auch Unternehmen müssen gerade während Notfällen und Krisen weiter aktiv gesteuert werden. Dies bedeutet, dass die Unternehmensleitung sich über die gesamte Lage bewusst ist (“Situational Awareness”) und auf dieser Grundlage das Unternehmen weiter steuern kann. Hierzu gehört zum Beispiel die Festlegung von Prioritäten und Strategien.
In Notfallplänen sollten diese Prioritäten vorgedacht und als Handlungsanleitung abgebildet werden. Welches sind die Geschäftsprozesse, Produkte, Kunden mit höchster Priorität, welche Aktivitäten können weggelassen, delegiert, verlagert oder verschoben werden? Häufig ist es ein guter Ansatz zunächst die wegzulassenden Aktivitäten zu identifizieren und festzulegen. Hieraus ergibt sich aus dem Notfallplan eine klare Priorisierung der Aktivitäten in einem Notbetrieb.
Die Priorisierung betrifft jedoch nicht nur Aktivitäten, sondern auch Kapazitäten. Ziel muss es sein, den Fachexperten alles Notwendige an die Hand zu geben, um die Störung operativ zu beheben. Führungskräften kommt die Verantwortung Der Steuerung, Koordination und Entscheidung zu. In Checklisten für Notfallpläne gehört daher die Festlegung
• “wer informiert (“i”) wen und wie,
• wer führt mit welchen Mitteln was durch (“d”)
• wer entscheidet (“e”) über was.
Communicate:
Der dritte Schritt im Krisenmanagementprozess in der Luftfahrt ist die Kommunikation. Es gibt einen guten Grund, warum das Cockpit bei größeren Maschinen aus mindestens zwei Piloten besteht. Eine der Schwerpunktaufgaben des Pilot Not Flying ist die Kommunikation per Funk. Im Flugzeug gibt es intensive Kommunikation innerhalb des Cockpits, mit der Flugsteuerung, mit der Crew in der Kabine, den Passagieren und der Fluggesellschaft.
In einem Unternehmen sind die Kommunikationsanforderungen noch umfangreicher, da es viele Interessengruppen gibt und die Kommunikation nicht so strukturiert wie im Cockpit organisiert ist. In Notfall- und Krisensituationen kommen noch weitere Empfänger wie Aufsichts- und, Datenschutzbehörden, Anrainer, Öffentlichkeit, Presse und Versicherungen hinzu, um nur einige zu nennen.
Gerne wird in einer Ausnahmesituation die Kommunikation ganz vergessen oder bruchstückhaft, unvorbereitet und unkoordiniert durchgeführt.
In einem Notfallplan muss daher zwingend festlegt werden, wer wann wie mit wem zu kommunizieren hat. Auf Basis dieser Festlegung der Verantwortlichkeiten können die Rolleninhaber dann geeignete Vorbereitungen für die spezifischen Kommunikationskanäle gemäß den spezifischen Anforderungen treffen. Dies reicht von vorbereiteten Sprachregelungen für die interne und externe Krisenkommunikation bis zur Verfügbarkeit von Meldevordrucken für Behörden. Eine gut funktionierende Kommunikation ist zwingende Voraussetzung für die Bewältigung von Notfällen und Krisen.
Zusammenfassung:
Drei Worte “Aviate, Navigate, Communicate” können den Unterschied machen zwischen einem gut bewältigten Notfall und einer chaotischen Krise. Diese einfache, gut zu merkende Sicherheitsregel aus der Luftfahrt sollte auch seinen Niederschlag in der Gestaltung der Notfallpläne finden. Einfache, prägnante und eindeutige Regelungen zu Prioritäten, Verfahren und Verantwortlichkeiten, statt Textwüsten auf vielen Seiten Papier. Sie werden keine Handbücher der Flugzeughersteller in den Cockpits finden, sondern eine Sammlung von Checklisten, die auf dem Oberschenkel Platz finden und jeweils in Minuten abgearbeitet werden können.
Be prepared!

Matthias Hämmerle MBCI, Geschäftsführer von haemmerle-consulting, ist ein erfahrerener und anerkannter Experte für Business Continuity und Informationssicherheitsmanagement. Seine Erfahrungen sammelte der studierte Wirtschafts-wissenschaftler sowohl im Finanzsektor als auch bei Unternehmensberatungen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Er ist Lead Auditor ISO 22301, als Dozent für den Themenberiche BCM an der Frankfurt School of Finance & Management tätig und Herausgeber der BCM-News, dem führenden deutschsprachigen Informationsportal für BCM.