Die Implementierung von Business Continuity Management ist ein wichtiges und komplexes Projekt. Leider wird dieses Vorhaben allzu oft nicht angegangen oder scheitert in der Umsetzung. Nachfolgend habe ich aus meiner Praxis als Berater und Verantwortlicher in der Linie die 10 Gründe für das Scheitern von BCM-Implementierungen zusammengestellt.
1. GAR NICHT BEGINNEN
Der größte Fehler ist natürlich, mit der Implementierung von Business Continuity Management (BCM) erst gar nicht zu beginnen. Dies kann vielfältige Ursachen haben und reicht vom fehlenden Verständnis der Notwendigkeit „wir haben noch jedes Problem gelöst“ bis zur Resignation wegen fehlender Ressourcen zur Umsetzung. Von Aufsichtsbehörden regulierte Unternehmen haben heute keine Wahl mehr und zunehmend wird BCM auch von Kunden eingefordert. Immer weniger Unternehmen lassen es darauf ankommen und vertrauen auf ihr Geschick im Umgang mit Störungen und Notfällen. Das mag früher auch gut funktioniert haben, doch die Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit von Unternehmen ist ständig gewachsen. Internet und die sozialen Medien haben die zeitlichen Spielräume für eine Reaktion enorm verkürzt. Eng verknüpfte Lieferketten sind ohne Puffer realisiert. Redundanzen bei Personal und Standorten sind jahrelangen Kostensenkungsmaßnahmen zum Opfer gefallen. Insofern ist Glück und Zufall ein schlechter Partner bei Notfällen. Oftmals ist es Bequemlichkeit oder Scheu vor Aufwand und Komplexität, die den Start in die Welt des BCM verhindert. Die Implementierung von BCM muss keine Qual sein und kann ungeahnten Nutzen auch außerhalb von Notfällen stiften.
2. FEHLENDE MANAGEMENT-UNTERSTÜTZUNG
Das Management hat die Notwendigkeit für die Implementierung eines Business Continuity Management erkannt – oder erkennen müssen. Ein Mitarbeiter wurde für das Thema auserkoren und dann mit dieser anspruchsvollen Aufgabe alleine gelassen. Keine BCM-Implementierung erfolgt ohne Widerstände. Dies ist auch nicht verwunderlich, denn im Grunde genommen ist jede BCM-Implementierung auch ein Change Projekt in der Organisation. Hierbei müssen bestehende Strukturen und Organisationen geändert werden. Dies stößt im Unternehmen auf Widerstände in Form fehlender Unterstützung oder Ressourcen in den Fachbereichen. BCM ist natürlich nicht das einzige Projekt im Unternehmen. Die Priorisierung des Themas und die Allokation von Ressourcen muss bei Ressourcenkonflikten über das Management erfolgen. Passiert dies nicht, „verhungert“ der BC-Manager erbarmungslos und frustriert vor sich hin. Leider eine sehr häufig anzutreffen Situation. Eigentlich müsste der BC-Manager seine Aufgabe zurückgeben – und sich vorher einmal in mehreren Job-Portalen anmelden. Wie also den notwendigen Support vom Management erhalten? Dies ist eines der häufigsten Themen in BCM-Foren. Wie kann das Management für das Thema BCM abgeholt werden? Die „regulatorische Keule“ ist irgendwann auch einmal abgenutzt. Wie es vielleicht trotzdem gelingen kann, Manager in ihrer Denke abzuholen, habe ich in einem Artikel in den BCM-News beschrieben.
3. ZUVIEL AUF EINMAL WOLLEN
Ist das BCM-Implementierungsprojekt dann gestartet, soll es natürlich gleich der Rundum-Schlag werden. Ohne die eierlegende Wollmilchsau in Form eines BCM-Tools kann das Projekt nicht umgesetzt werden. Alle Fachbereiche sollen sofort mit BCM beglückt werden und natürlich der gesamte BCM-Lebenszyklus implementiert werden. Um dieses Mammut-Programm umzusetzen werden dann viele Berater angeheuert, die natürlich auch viel Output produzieren. Doch kann die Organisation dieses Tempo mitgehen und vor allem bleibt noch genügend Know How im Haus, wenn die Berater das Haus wieder verlassen haben? Die Alternative besteht darin, das BCM zu pilotieren und in einem mit dem Management abgestimmten Bereich und Umfang umzusetzen. Aus den Erfahrungen aus dieser Pilotierung kann dann für die weitere Umsetzung gelernt werden. Denn keine BCM-Implementierung gleicht der anderen und es gibt keinen „one fits all“-Ansatz für die BCM-Implementierung. Auch die Einführung eines BCM-Tools sollte warten bis die Prozesse und Organisation sicher stehen. Dann sind auch die Anforderungen bei der Auswahl des Tools klar und nicht “das Beste”, sondern das “am besten geeignetste” Tool kann ausgewählt werden.
4. FEHLENDER PRAGMATISMUS
In einer idealen Welt sind die Geschäftsprozesse des Unternehmens aufgenommen und strukturiert dokumentiert, die IT-Anwendungen sind katalogisiert und es gibt einen durchgängigen Blick auf die Zulieferketten. Leider findet diese ideale Welt scheinbar immer genau dort statt, wo kein BCM implementiert wird. So haben wir es in der Regel mit unvollständigen und unvollkommenen Voraussetzungen zu tun. Jetzt kann man natürlich versucht sein, diese idealen Voraussetzungen erst einmal zu schaffen, bevor mit der BCM-Implementierung begonnen wird. Doch leider werden diese mangelnden Voraussetzungen meist erst nach Projektbeginn aufgedeckt und in der Projektplanung sowie dem Projektbudget sind natürlich keine Ressourcen hierfür vorgesehen. Zudem ist die Erstellung einer Prozessmodellierung für ein Unternehmen kein „Nebenjob“. Viele Projekte haben sich dabei schon die Zähne ausgebissen. Hier kommt das Stichwort „Pragmatismus“ ins Spiel. Für das BCM kann auch eine schlichte Aufgabenliste je Fachbereich zum Start ausreichend sein. Diese kann im Rahmen eines Workshops mit den Fachbereichen erarbeitet werden. Oftmals sind diese Aufgabenlisten ein guter Startpunkt für ein anderes Projekt, das sich dann um die Prozesse bemüht, dessen Ergebnisse in das BCM wieder zurückfließen.
5. SACKGASSE BUSINESS IMPACT ANALYSE
Ja, die Business Impact Analyse, das ist das methodische Spielfeld im BCM. Hier können wir unsere ganzen Excel-Kenntnisse einsetzen, finanzielle Schadensfolgen mittels Prozesskettenkosten auf den Cent ermitteln und immer wieder neue Begriffe und Abkürzungen erfinden (RTO, Rio, MtPD…). Und erst hier zeigt sich, welch eine Wissenschaft das BCM ist. Kaum scheint die BIA nach langer wissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Analyse und monatelangem Ringen mit den Fachbereichen abgeschlossen, hat sich leider das Unternehmen oder die Methode, oder gar beides, verändert. Also wird die BIA aktualisiert. Okay, vielleicht ein bisschen überspitzt formuliert, doch oftmals erscheint die BIA als die Krönung des BCM. Sie ist jedoch nur Mittel zum Zweck, nämlich die nachvollziehbare Ermittlung der kritischen Prozesse im Unternehmen sowie deren Ressourcen. Ziel des BCM sind getestete und beübte Pläne. Die BIA ist kein Selbstzweck und sollte daher zügig und zielorientiert durchgeführt werden. Die Ressourcen der Fachbereiche benötigen wir schließlich auch noch für die Erstellung der Pläne sowie Durchführung von Tests und Übungen.
In diesem Artikel in den BCM-News gibt es Tipps, die Sackgasse BIA zu vermeiden.
6. FEHLENDE ADAPTION AN DAS UNTERNEHMEN
Es gibt kein „BCM out of the Box“. So verschieden Unternehmen sind, so unterschiedlich ist das BCM konzipiert. Dies beginnt mit der Organisation des BCM. Große Unternehmen leisten sich ganze Stabsabteilungen, in kleinen Unternehmen wird das BCM von einem Mitarbeiter nebenher mitgemacht. In beiden Fällen müssen die Ergebnisse funktionieren. Auch sind kritische Prozesse sowie deren Zeitkritikalität von Branche zu Branche verschieden. Organisation, Größe, Standorte, Kultur, Prozesse, Produkte, Lieferanten sowie IT bestimmen die Anforderungen an das BCM und sind bei der Konzeption zu berücksichtigen. Der Aufbau von Notfallplänen, der bei einem Unternehmen sehr gut funktioniert, kann bei einem anderen Unternehmen völlig danebenliegen. Es ist daher wichtig, das Unternehmen zu verstehen, bevor Lösungen gebaut werden. Nicht ohne Grund heißt die Business Impact Analyse „Verständnis des Geschäfts“.
7. BERATERGETRIEBENES VORGEHEN
Berater machen was Sie wollen, manchmal machen allerdings Berater was sie wollen. Dann findet keine Steuerung mehr durch den Auftraggeber statt und es endet schlimmstenfalls im Kontrollverlust. Ich habe bereits einige Projekte erlebt, in denen Teams von Beratern kiloweise tolle Dokumente erstellt haben. Doch leider konnte der Kunde ohne die Berater nicht sehr viel mit den Dokumenten anfangen. Beim Business Continuity Management geht es um die Überlebensfähigkeit des Unternehmens und nicht um das Überleben der Berater. Der Know How Transfer in das Unternehmen sollte daher unbedingt sichergestellt werden. Berater können mit ihrer Erfahrung wichtige Unterstützung bei der Methodik leisten und kritische Schnittstellen und Fachbereiche moderieren. Natürlich kann man BCM-Pläne durch Berater schreiben lassen, doch hier ist es wie mit dem Spickzettel in der Schule: ist der Spickzettel erst einmal erstellt, kennt man auch den Inhalt und benötigt ihn nur noch als Stichwortgeber oder Checkliste. Die Erstellung der Pläne ist ein erstes Training.
8. TOOLGETRIEBENES VORGEHEN
Erst einmal ein BCM-Tool beschaffen, dann ergibt sich der Rest von alleine. Leider lässt sich eine BCM-Implementierung nicht automatisieren. Form follows Function – BCM-Tool follows BCM-Concept. BCM-Tools haben einen sehr großen Funktionsumfang, um den vielfältigen Bedürfnissen möglichst vieler Kunden gerecht werden zu können. Daher müssen BCM-Tools für die spezifischen Anforderungen konfiguriert werden. Jedes der zahlreichen BCM-Tools am Markt hat unterschiedliche Stärken und Schwächen. Wichtig für die Auswahl des geeigneten BCM-Tools ist die eigenen Anforderungen an das BCM-Tool möglichst genau zu kennen. Hierzu müssen das Vorgehen, Prozesse und Organisation weitgehend festgelegt sein. Welche Fragen sollen im BIA-Fragebogen wie abgefragt werden, über welche Schnittstellen sollen Daten aus anderen Systemen zugespielt werden (Bsp. Prozesse, IT-Anwendungen, IT-Systeme), wie soll die Festlegung von Kritikalitäten und deren Vererbung erfolgen. Dies sind nur wenige Beispiele für Konfigurationen, die im BCM-Konzept festgelegt und vom BCM-Tool abgebildet werden müssen. Ein pragmatischer Weg ist daher, die Erst-Implementierung des BCM zunächst einmal mit Bordmitteln zu bewerkstelligen um dann mit einem stabilen Konzept in die Toolauswahl gehen zu können. Eine Auswahl an BCM-Tools finden Sie dann in der BCM-Tool Datenbank der BCM-News.
9. MANGELHAFTE KOMMUNIKATION
Business Continuity Management ist eine Disziplin mit sehr vielen Schnittstellen in andere Disziplinen und zu den Fachbereichen. Kaum eine Disziplin benötigt eine so enge Vernetzung, um wirkungsvoll werden zu können. Dies gilt nicht nur innerhalb des Unternehmens, sondern auch mit Kunden, Dienstleistern und Behörden weit über die Unternehmensgrenzen hinaus. Unsere Kommunikationspartner in und außerhalb des Unternehmens sprechen eine andere Sprache und haben unterschiedliche Interessen. Dies reicht von der technikorientierten IT über mathematisch denkende Risikobereiche bis hin zu den marktorientierten Wertpapierhändlern. Alle diese Ansprechpartner müssen für das BCM aus ihrer Welt abgeholt werden und so manche Interessenkonflikte auf diesem Weg gemeistert werden. Kommunikation ist das Bindeglied zwischen allen Beteiligten und im BCM müssen wir auf ganz unterschiedlichen Ebenen in verschiedenen Sprachwelten kommunizieren. Dies macht das BCM anspruchsvoll aber auch interessant und in kaum einer anderen Disziplin kommt man so weit im Unternehmen herum und lernt die Organisation und Prozesse so gut kennen.
10. FEHLENDE ZIELORIENTIERUNG
Im Sport setzen wir uns Ziele, um fokussiert und motiviert zu bleiben bei den ganzen Ablenkungen, die uns auf dem Weg zum Ziel verführen. Auch bei der Implementierung des BCM ist es wichtig, immer ein Ziel und eine Vision vor Augen zu haben. Hier kommt unser neues Modewort im BCM zum Tragen „Resilience“. Resilience bedeutet, das Unternehmen als Ganzes widerstandsfähig gegen Störungen zu machen. Dies ist tatsächlich eher eine Vision als ein kurz- oder mittelfristig erreichbares Projektziel. Diese Vision vor Augen, endet die BCM-Implementierung nicht mit der Erstellung von BCM-Plänen. Die Wirkungsfähigkeit dieser Pläne im Zusammenspiel mit den anderen Disziplinen wie IT, Krisenmanagement, Facility Management, Sicherheits- und Risikomanagement und Supply Management, um nur einige zu nennen: das ist das langfristige Ziel. Hierzu sind disziplinübergreifende, komplexe Tests und Übungen erforderliche sowie die Auswertung und das Lernen aus eingetretenen Störungen und Notfällen. Der BCM-Lebenszyklus verdeutlicht diesen Zyklus-Gedanken der ständigen Verbesserung. BCM ist kein Projekt mit definiertem Ende sondern eine immerwährende Aufgabe und Herausforderung.
Be prepared
Matthias Hämmerle MBCI
Weitere Infos unter: haemmerle-consulting und BCM-News.